Die schöne Ärztin
unter der seidenen Steppdecke. Nur ihre Augen waren noch immer voll wilder Erregung, der Blick irrte umher, von der Decke zu den Wänden, zu Dr. Born und von dieser zurück zu ihren eigenen Händen, die bleich und wie abgestorben auf der Decke lagen.
»Glauben Sie das wirklich, Fräulein Doktor?« fragte sie mühsam. Waltraud Born nickte wieder.
»Ja.«
»Sie sind so grausam.«
»Warum sollte Dr. Pillnitz lügen?«
»Er hat es selbst gesagt?«
»Ja.«
»Er haßt mich. Er will mich vernichten. Es ist blinde Eifersucht.«
Waltraud Born räumte das Wasserglas weg und schraubte die Tropfflasche zu. Plötzlich hatte auch sie Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung von Dr. Pillnitz. Sie konnte nicht sagen, warum. Sie wußte, daß Veronika Sassen notorisch log, daß ihr Leben eine einzige Kette von Lügen war, von Betrug, von Schwindel, von Ehebrüchen. Und doch sagte ihr das weibliche Gefühl, daß Veronika diesmal nicht log. Der wilde Ausbruch war nicht mehr gespielt, er war echtes Entsetzen gewesen.
»Sie waren bei dem Unfall dabei?« fragte Waltraud Born und setzte sich wieder. Veronika Sassen schloß erschöpft die Augen.
»Nur mittelbar. Ich saß nicht mehr im Wagen.«
»Aber Sie waren doch mit Dr. Pillnitz weggefahren.«
»Ja. Aber wir bekamen Streit. Er schrie mich an, er drohte mir, und dann, als ich auf nichts einging, hielt er an und setzte mich auf freier Strecke einfach auf die Straße. ›Lauf nach Hause!‹ schrie er mir noch zu. ›Es wird schon jemand kommen, der dich mitnimmt. Bezahlen kannst du ja auf deine Weise!‹ Dann gab er Vollgas, ich sah, wie er sich noch einmal nach mir umdrehte – und plötzlich schleuderte der Wagen, prallte gegen einen Baum! Ich schrie auf – aber dann lief ich weg. Ich lief querfeldein, irgendwohin. Ich weiß bis heute noch nicht, wo ich hingelaufen bin. Plötzlich sah ich eine Omnibushaltestelle, ich stieg in den nächsten Bus und fuhr nach Gelsenkirchen zurück.«
»Sie haben sich nicht um Dr. Pillnitz gekümmert?«
»Nein.«
»Er hätte ja tot sein können.«
»Daran dachte ich nicht. Offengestanden war ich so voller Wut wegen seines Benehmens, daß es mir in jenem Augenblick auch gar nichts ausgemacht hätte. Ich hatte einfach den Kopf verloren. Außerdem, welche Erklärung hätte ich denn geben sollen, wenn man mich bei den Trümmern gefunden hätte? So heißt es jetzt wenigstens, er war allein im Wagen.«
Waltraud Born schwieg einen Augenblick. Ist das die Wahrheit, fragte sie sich. Oder ist es wieder eine Lüge, eine blendend gespielte Tragödie, die nur den Fehler hat, daß der Hauptdarsteller, der sterben sollte, nicht getötet wurde?
Sie wollte Veronika Sassen noch eine Frage stellen, eine ganz präzise Frage: Was ist zwischen Ihnen und Dr. Pillnitz? Aber Veronika schien ihr nun zu erschöpft. Die Beruhigungstropfen wirkten, Veronika schlief ein. Das Gesicht war entspannt und von einer fast kindlichen Reinheit. So kann ein Satan in einem Engelskörper wohnen, dachte spontan Waltraud Born. Wer hat einmal gesagt: Bei einem Menschen ist alles möglich? Sie suchte nach dem Namen, aber er fiel ihr nicht ein. Dafür kam ihr ein Ausspruch Sartres in den Sinn: »Die Hölle sind wir!« Als friere sie, hob sie die Schultern. Wie wahr das ist, dachte sie. Unter der dünnen, sauberen Oberfläche unseres Ichs liegt ein Sumpf. Wie schnell kann man in ihn einbrechen.
Sie fuhr erschrocken herum. Hinter ihr klappte eine Tür. Dr. Sassen kam auf Zehenspitzen ins Zimmer. Er legte den Zeigefinger auf die Lippen und nickte Waltraud Born zu.
»Schläft sie noch?« fragte er leise.
»Schon wieder.«
»Heißt das, daß sie schon einmal wach war?«
»Ja. Aber nur kurz.«
»Warum haben Sie mich nicht gerufen?«
»Ihre Gattin war noch sehr schwach und regte sich wieder so auf, daß ich ihr Tropfen geben mußte.«
»Hat sie etwas erzählt? Von dem Unfall mit Oliver? Wie es dazu gekommen ist?«
»Nein.« Dr. Born wandte sich ab. »Sie sollten Ihre Gattin auch nicht danach fragen. Es nimmt sie zu sehr mit.«
Dr. Sassen setzte sich auf einen der fellbezogenen Hocker vor dem großen Toilettenspiegel. Die Glasplatte war übersät mit Flakons, Salbentöpfchen und Fläschchen.
»Wie kamen die beiden gerade in die Buschener Heide?« sagte er mehr zu sich selbst, aber deutlich genug, daß es auch Waltraud Born verstehen konnte. Da er keine Antwort erwartete, spielte er nervös mit den Töpfchen und Flakons und kam sich überflüssig und ratlos vor. Nachdem er noch eine
Weitere Kostenlose Bücher