Die schöne Ärztin
es hat sich vieles geändert. Arbeitgeber und Arbeitnehmer seien eine Gemeinschaft. Die Realität sieht anders aus. Kannst du 'ne Party im Schloßhotel geben? Hast du 'ne Jagd in der Eifel? Treiber kannste spielen, aber schießen tun die anderen. Und du Rindvieh gehst hin und hängst dich an die Tochter des Chefs! Kreuzdonnerwetter, ich sollte dir wirklich eine kleben!«
Dr. Sassen hatte den Wortschwall Hans Holtmanns nicht unterbrochen. Nun, da der Hauer verstummte, goß Sassen die Gläser mit Korn voll und sagte:
»Das war ja fast eine kommunistische Rede.«
»Ne, nee«, antwortete Hans Holtmann. »Das war kein Kommunismus, das war die Wahrheit. Sie wissen das doch selbst auch, Herr Direktor. Und mein Sohn soll nicht so tun, als ob er zu dumm wäre, um das auch einzusehen. Uns hat er immer vorgemacht, er ginge zum Fußball –«
Vater Holtmann unterbrach sich und fragte Kurt: »Warst du überhaupt bei einem einzigen der Spiele?«
»Nein, Vater.«
»Sondern?«
»Ich war immer mit Sabine zusammen.«
Hans Holtmann nickte beleidigt und enttäuscht zugleich und sagte zu Dr. Sassen:
»So ist das, Herr Direktor. Da hat man einen Sohn, man erzieht ihn, man glaubt, er wird ein guter, fleißiger Mensch. Man tut alles für ihn, man ist nicht mehr sein Vater, sondern sein Freund. Man glaubt, daß es nichts auf der Welt gibt, was sich Vater und Sohn nicht sagen könnten – und dann erfährt man, daß das alles nicht stimmt, daß er lügt, daß er systematisch lügt, daß er ein falsches Spiel treibt, daß er –«
»Vater –«, stammelte Kurt.
»Sei still!« fuhr ihm Hans Holtmann über den Mund. »Wären wir jetzt zu Hause, nähme ich den Wäscheknüppel … ganz gleich, was daraus werden würde! Belogen hast du mich! Deinen Vater und deine Mutter belogen. Wegen eines Weibsstücks –«
»Halt!« Dr. Sassen hob die Hand. »Sie sprechen von meiner Tochter, Herr Holtmann, vergessen Sie das nicht!«
»Verzeihung, Herr Direktor.« Hans Holtmann senkte den Kopf. »Ich werde jetzt schweigen und meinen Korn trinken …«
Letzteres taten alle drei, dann sagte Dr. Sassen: »Ihr Sohn, Herr Holtmann, hat unter Einsatz seines Lebens mein Kind gerettet. Ihm verdanke ich das Leben Olivers und damit den Fortbestand eines Teils meines Glücks.« Er sah Kurt Holtmann an und lächelte schwach. »Wir hatten schon einmal eine Aussprache miteinander, und ich wünschte mir, das wäre nie der Fall gewesen. Vergessen wir sie, ja? Ich habe versucht, Sabine zu entfernen, auf Reisen zu schicken, weit weg. Sie hat sich aber geweigert, ist weggelaufen und bis jetzt noch nicht wieder nach Hause gekommen.«
Kurt Holtmann sprang auf. »Das weiß ich ja noch gar nicht. Man muß sie suchen!« rief er.
Dr. Sassen schüttelte den Kopf.
»Sie ist bei einer Freundin. Sie hat vor zwei Stunden angerufen. Ich hatte erst vor, sie nach Beendigung der EWG-Sitzung zu holen. Nun ist es anders gekommen, ganz anders. Ich stehe in Ihrer Schuld, Herr Holtmann. Geben Sie mir noch etwas Zeit. Ich würde gerne eure Familie kennenlernen, euer Haus. Ich möchte deshalb übermorgen zu euch kommen, um euch zu besuchen. Geht das?«
Diese Frage richtete Dr. Sassen an Hans Holtmann, den Vater, der antwortete: »Natürlich, es wird uns eine Ehre sein. Aber wenn ich mir eine Frage erlauben darf! Was soll das Ganze?«
»Ich möchte mir die Welt ansehen, in die meine Tochter eintreten will. In den Märchen ist es meistens umgekehrt, da heiratet der Königssohn das arme Hascherl.«
»Ist es nicht gleich, was man ist, Herr Direktor, wenn man sich nur liebt?« sagte Kurt Holtmann leise. Dr. Sassen nickte.
»Natürlich, vom Blick eines verliebten Jünglings aus ist das völlig gleichgültig. Aber Sie haben, so Gott will, vielleicht noch 60 Jahre ernüchterndes Leben vor sich. Das ist ein ziemlicher Berg – 60 Jahre. Ein solches Gebirge bezwingt die Liebe nicht allein. Glauben Sie mir, junger Mann, nichts ermattet so schnell und so gründlich wie die Liebe.«
»Sie wissen nicht, wie stark Sabine und ich sein können.«
»Einen Hauch habe ich schon davon mitbekommen.« Dr. Sassen strich sich über die weißen Haare. »Bitte, bleiben Sie bei mir zum Abendessen, meine Herren. Ich lasse Ihre Frau bzw. Mutter verständigen, daß Sie hier sind.« Dr. Sassen blickte die verblüfften und von innerer Abwehr gezeichneten Gesichter der Männer vor sich an. Warum sehen sie in mir einen Tyrannen, dachte er plötzlich. Ist das alles auf das Geld zurückzuführen?
»Ein Unglück
Weitere Kostenlose Bücher