Die schöne Ärztin
Bretter. Junge, ich hab da 'ne neue Masche entdeckt. In Essen, nachts auf'm Bahnhof, da kannste Puppen sammeln, sage ich dir, verheiratete Frauen … die zahlen sogar …!«
In diesem Augenblick krachte es. Dem geilen Franz Zarenga zerplatzte das Trommelfell beider Ohren, es war, als berste ihm der Kopf. Haberkamp flog in den Bretterstapel, Balken und Stempel regneten auf ihn hernieder, er schrie tierisch, brüllte wie ein angeschossener Büffel und stieß mit den Armen gegen die auf ihm liegenden Balken. Franz Zarenga lag auf dem Boden, die Druckwelle war über ihn hinweggefegt, aber er bewegte sich nicht, er kam sich vor wie zerfetzt, wie in einzelne Teile zerlegt. Als er sich endlich doch auf die Knie stemmte, pendelte sein Kopf hin und her und er wußte nicht mehr, wo oben und unten war. Sein Gleichgewichtssinn war vernichtet, er kroch herum, stieß mit dem Kopf überall an und lag dann auf dem Rücken und dachte, er stünde aufrecht auf seinen Beinen.
Dann kam die Hitzewelle. Sie überflutete auch das Holzlager und briet die Körper, die wimmernd unter Trümmern und Felsstücken lagen. Heinz Haberkamps tierisches Gebrüll wurde schwächer und verstummte. Blut lief ihm aus dem Mund, er streckte sich und starb. Franz Zarenga kroch noch immer herum und suchte einen Weg. Instinktiv kroch er in einen Querschlag, spürte einen Hauch von frischer Luft und wälzte sich auf Händen und Füßen und auf dem Bauch weiter, ein menschlicher Lurch, der vor dem Gebratenwerden flüchtete.
Nach drei Stunden erreichte er den Ausgang des Querschlages und sah von weitem Scheinwerfer, hörte Stimmen und das Klirren von Handwerkszeugen. Und er sah auch, wie der Schlag ein künstliches Ende fand, wie eine Mauer vor ihm aufgebaut wurde, wie man dabei war, ihn, den Franz Zarenga, lebendig einzumauern.
»Halt!« brüllte er mit letzter Kraft, aber es klang nur noch schwach. »Halt, Kameraden, halt, ich lebe noch! Ich lebe! Holt mich raus! Holt mich doch –«
Über ihm, in einem Mauerspalt, erschien ein Kopf und starrte ungläubig auf ihn herunter.
»Da ist ja noch einer«, stammelte der Maurer.
»Steine runter!« brüllte Kurt Holtmann und riß selbst die obersten Mauerlagen wieder weg. Wie ist das möglich, dachte er. Wo kann der nur herkommen? Wie kann überhaupt noch jemand da hinten in der brennenden Hölle leben?
Franz Zarenga wurde gerettet. Er weinte, als er im Förderkorb nach oben schwebte und von Dr. Waltraud Born in Empfang genommen wurde. »Mutter –«, sagte er immer wieder. »Mutter. Ich bin wieder da … ich bin da … da … da …«
Am Abend hatte man endlich einen Überblick. Die Rettung der Überlebenden, Verletzten und die Bergung der Toten, die man gefunden hatte, waren abgeschlossen. An vier Stellen wurde die Katastrophenstelle abgeriegelt und zugemauert. Noch sieben Bergmänner hatten sich aus dem Schacht retten können, im letzten Augenblick wie Franz Zarenga, bevor sich die Mauer schloß um ein riesiges, brennendes Grab, um ein brodelndes Krematorium für einige hundert Kumpels.
Dr. Vittingsfeld hielt die erste Pressekonferenz im Sitzungssaal der Verwaltung von Emma II ab. Er hatte eine Karte aufbauen lassen und erklärte mit einem langen Zeigestock ähnlich einem geduldigen Lehrer den mitschreibenden Journalisten, wie es zu dem Unglück hatte kommen können. Er stellte es als eine nicht vorhersehbare Verkettung unglücklicher Umstände dar, als eine Folge einer nicht erkennbaren Bergverschiebung, die ungeahnte Mengen von Methangas hatte frei werden lassen, das, in Verbindung mit Luft, die ganze Sohle 6 in ein einziges riesiges Sprengstofflager verwandelt hatte. Ein einziger offener Funke hatte dann genügt und es war zu der verheerenden Explosion gekommen.
»Das ist Bergmannsschicksal, meine Herren!« sagte Dr. Vittingsfeld mit umflorter Stimme. »Seien Sie gewiß, daß wir alles tun werden, um den Hinterbliebenen und Waisen zu helfen.«
Was Dr. Vittingsfeld verschwieg, war folgende Rechnung: Die Modernisierung von Emma II, die jetzt sowieso hinfällig geworden war, hätte in drei Bauabschnitten mindestens 40 Millionen gekostet. Die Fürsorge für die Waisen und Hinterbliebenen aber würde nur einen Bruchteil ausmachen. Nach dem ersten Überblick waren 218 Männer im Berg geblieben. Die Unterstützung von 218 Familien belastete den Konzern mit etwa 2,5 Millionen. Zehntausend Mark für jede Familie, das war schon unwahrscheinlich hoch angesetzt und wurde von Dr. Vittingsfeld nur im Hinblick auf die
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