Die schöne Ärztin
schraubte die Flasche auf, setzte sie an die schwarzen Lippen und trank genußvoll. Helenes Kaffee war gut. Sie sparte nicht an Bohnen. Jede Woche ein Pfund. Das ging zwar ins Geld, aber ein guter Kaffee rann auch ins Gemüt. Und das war wichtig.
Am Sonntag fahren wir hinaus zur Gruga, dachte Hauer Bandeski und wickelte sein Brot aus. Zum letztenmal mit dem Omnibus. In vierzehn Tagen kommt der eigene Wagen. Der Kaufvertrag ist schon längst unterschrieben. Helene freut sich und spricht von einem Kleid in der passenden Farbe zum Autopolster. Sorgen haben die Weiber! Hauer Bruno Bandeski biß ins Brot und kaute mit dicken Backen. Soll sie auch noch haben, das Kleid, dachte er. Was hat Helene schon vom Leben? Vier Kinder mit 25 Jahren, ab 19 eigentlich immer im Wochenbett, aber jetzt ist Schluß damit. Jetzt ändern wir das! Jetzt geht's hinaus ins Freie mit Butterbrot und Speck. Zum Baldeney-See, zur Gruga, ins Münsterland, zu den Wasserburgen, zu den Wildpferden des Herzogs von Croy. Kinder, wird das ein Leben. Ab Freitag ist's Feiertag. Man will endlich wissen, wofür man jeden Tag unter der Erde so schwer malocht.
Hauer Bandeski trank noch einen Schluck von Helenes gutem Kaffee und strich dann auf dem Schoß die Morgenzeitung glatt. Kindesentführung in Berlin. Der Täter ein Schwachsinniger. Bandeski sah gegen die schwarze Wand. Wenn sie eines von meinen entführen würden, dachte er. Himmel und Arsch, den Kerl brächte ich um. Da brauchten wir keine Gerichte mehr.
In diesem Augenblick merkte der Hauer Bruno Bandeski, wie er ohne jedes eigene Zutun zu schweben begann. Es war nur ein Gedanke, kurz wie ein Wimpernzucken. Er spürte, wie er schwerelos im Raum schwebte und gegen die Wand flog. Er konnte nicht mehr schreien, er hörte auch den Explosionsknall nicht mehr. Er wurde gegen die Wand geschmettert und seine Hirnschale zerbrach wie dünnes Glas.
Es gab keine Wasserburgenfahrt durchs Münsterland mehr.
Der Gedingeschlepper Heinz Haberkamp und der Jungbergmann Franz Zarenga standen beim Holzstapelplatz und verluden Stempel für den neuen Querschlag.
Haberkamp war ein alter ›Aufreißer‹, das wußten sie alle. Am Samstag fuhr er nach Essen, die Taschen voll Geld, und dann ging es durch die Bars und die Betten der Mädchen, die zwischen dreißig und fünfzig Mark nahmen, je nach Qualität und Leistung. Es war eine kostspielige Welt, deren Luft Heinz Haberkamp sich jedes Wochenende um die Nase wehen ließ. Von Montag bis Freitag pflegte er davon wieder zu zehren und seine anderen Kumpels daran teilhaben zu lassen, indem er ihnen plastische Erzählungen lieferte. Man kannte seine Erlebnisse bis ins Detail und wartete nur darauf, daß er sich eines Tages etwas holen würde, einen gesalzenen Tripper oder eine ausgewachsene Syphilis. Am schlimmsten war es mit Haberkamp, wenn er mit Jungbergmännern zusammen war. »Wie man 'n Schlag aufreißt, das lernste schnell«, sagte er dann mit großer Geste. »Aber wie du 'n Mä'chen aufs Kreuz legst, wenn du nur noch fünf Mark in der Tasche hast, das ist 'ne Kunst, die dir kein Steiger beibringt.«
Nun standen sie am Holzplatz und Haberkamp berichtete Franz Zarenga von einer Nacht in der Bar ›Bei Fifi‹. Er sparte nicht mit Kraftausdrücken und speziellen Schilderungen, beschrieb einen Striptease mit kurvenreichen Handbewegungen und erklärte dem Jungen, welch großer Unterschied es sei, ob sich eine Frau im Schlafzimmer oder auf der Bühne auszöge.
Franz Zarenga hörte zerstreut zu. Er hatte andere Sorgen als Haberkamp. Seine Mutter hatte man gestern ins Krankenhaus eingeliefert. Der Arzt wollte nicht recht mit der Sprache raus, aber soviel bekam Franz mit, daß es kein entzündeter Blinddarm war, an dem Mutter litt, sondern etwas anderes. »Verdacht auf Ca.«, sagte der Arzt. Franz Zarenga wußte nicht, daß Ca. soviel wie Carzinom heißt, aber auch wenn er das gewußt hätte, hätte er mit dem Wort Carzinom wenig anfangen können. Nur, daß seine Mutter sehr krank war, das erkannte er auch ohne Arzt. Sein Vater war Invalide, er hatte noch fünf jüngere Geschwister. Und nun die Krankheit. Zu Hause mußte der Vater alles alleine machen. Am Wochenende sprang ihm Franz bei. Deshalb würde es für diesen vorerst Pustekuchen sein mit dem Sonntagsknutschen bei Erna, der kleinen, blonden Verkäuferin vom Konsum.
»Hörst du überhaupt zu?« fragte Heinz Haberkamp und zog sich die Hosen höher. »Ich erzähle dir von der zweifarbigen Ilse, und du starrst in die
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