Die schöne Ärztin
zwei noch halbwegs kräftigen Kumpels. Als Holtmann sicher auf dem Felsboden stand, fielen sie seitlich um wie umgestoßene Kegel und lagen steif und mit ausdruckslosen Gesichtern im Geröll. Um sie herum lagen die anderen … zehn Verletzte, siebenunddreißig Unverletzte und sechs Tote. Zwei kleine Taschenlampen erhellten schwach den Raum.
Kurt Holtmann biß sich auf die Lippen. Auch er spürte, kaum nachdem er die Bombe verlassen hatte, einen Druck in den Schläfen, eine dumpfe Benommenheit und eine Mattigkeit in allen Gliedern. Übelkeit stieg in ihm hoch, er hatte das Bedürfnis, tief einzuatmen, aber er bremste, so gut es ging, dieses Bedürfnis, denn jeder kräftige Atemzug bedeutete einen Schritt näher hin zum Tode, vergiftete er doch das Blut mit dem gefährlichen Kohlenmonoxyd. Aus der Tiefe der toten Schächte, von den Brandherden her, stieg das geruchlose, giftige, tödliche Gas zu ihnen hinauf.
Kurt Holtmann tastete sich an der Wand entlang bis zu dem aus der dünnen Verpflegungsröhre hängenden Mikrofon und umklammerte die einzige Verbindung mit der Außenwelt.
»Hallo! Hallo!« hörte er die Stimme seines Vaters im kleinen Lautsprecher, mit dem das Mikrofon gekoppelt war. »Was ist denn? Gebt Antwort! Hallo!«
Hans Holtmann hatte oben den Zechendirektor abgelöst, der eine Erklärung an die Presse abgab und Optimismus zu verbreiten suchte. »Es steht gut«, sagte er. »Wir hoffen, daß in wenigen Minuten die ersten der Geretteten heraufkommen werden.«
Kurt Holtmann preßte sein nasses Taschentuch an den Mund. Er hatte es mit dem Schwitzwasser der Felsen getränkt, ein notdürftiger Schutz gegen das schleichende Giftgas.
»Vater!« rief er dumpf. »Vater! Es muß sofort Sauerstoff runter zu uns! Sofort! Der ganze Stollen füllt sich mit Kohlenmonoxyd. Wir kommen alle um, bevor die Rettung überhaupt beginnen kann!«
Die Bombe schwebte wieder nach oben. Dann fuhr Dr. Sassen ein. Oben wandte sich Hans Holtmann dem Zechendirektor zu und zwei Oberingenieuren.
»Monogas im Stollen!« sagte er entsetzt. »Was nun?«
»Es ist zum Kotzen!« Einer der Oberingenieure sprach bereits über das Feldtelefon mit den Rettungswagen. Zehn Sanitäter mit Beatmungsapparaten rannten zum Bohrturm. Die stumme Masse der Wartenden wurde unruhig. Rufe wurden laut. Also doch! Das Gerücht stimmte! Gas!
»Verdamm mich!« Dr. Ludwig Sassen sah Dr. Vittingsfeld an. »Unten sind noch 47 Lebende. Und fünf Sauerstoffapparate! Und ein Arzt muß auch runter!«
»Das kann ich auch übernehmen.« Pater Wegerich trat noch einmal von der Bombe zurück, in die er gerade steigen wollte, und schob vier Sauerstoffflaschen in die Höhlung. »Ich bin in Erster Hilfe für den Bergbau ausgebildet. Dazu gehört das Beatmen.«
Aus dem Stollen meldete sich jetzt Dr. Fritz Sassen. Auch er berichtete mit dumpfer, hohler Stimme, daß schnellste Hilfe notwendig sei. Kurt Holtmann hockte bereits halb ohnmächtig neben den zum Teil besinnungslosen Bergleuten. Die Gasvergiftung war lähmend, sie machte müde und müder und erschlaffte den Körper völlig.
Dann fuhr Pater Wegerich ein, und wieder begann das große Warten. Hans Holtmann gab in knappen Worten weiter, was unter Tage geschah.
»Sie beatmen die Lebenden«, sagte er, und es war eine dumme Meldung, denn einem Toten nützt kein Sauerstoff mehr. Und weiter: »Kurt ist wieder wohlauf. Sie verlangen Gasmasken. Zum Teufel, haben wir Gasmasken?«
Es zeigte sich, daß man wohl Rauchmasken, aber keine Schutzmasken gegen Monogas hatte. Sie lagen im Krankenrevier von Emma II, schon gestapelt und inventarisiert, da sie seit vier Jahren nicht mehr gebraucht worden waren.
Ein Wagen raste los, mit Waltraud Born auf dem Beifahrersitz, um die Gasmasken zu holen.
Noch dreimal glitt die Dahlbuschbombe in die Tiefe und nahm Sauerstoffflaschen, Schläuche, Verschraubungen und Plexiglastrichter mit.
Pater Wegerich meldete sich als nächster.
Er gab acht Särge in Auftrag, die oben bereitgestellt werden sollten. Zu den sechs Toten des Unglücks waren noch zwei weitere Tote durch das Gas gekommen.
Dr. Vittingsfeld hatte die Aufgabe übernommen, die Ereignisse vor der Presse darzustellen.
»Es verläuft alles planmäßig«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Die Bergleute befinden sich wohlauf und bei verblüffend guter Gesundheit. Sie haben Schokolade und Traubenzucker zu essen bekommen und mit Vitaminen hochangereicherten Fruchtsaft.«
Und in der Tiefe kämpften in diesem Augenblick drei Männer um
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