Die schöne Betrügerin
einhändiger Griff es zuließ, erreichte sie ihn nicht. »Bitte, mein Lieber, komm zurück«, stöhnte sie auf. »Bitte, nimm meine Hand.«
Robbie, der mit seinen kleinen Füßen sicher auf dem Sims balancierte, war inzwischen zuversichtlicher und grinste sie nur an. »Kommen Sie mit, Flip. Wenn wir da lang gehen, können wir das Regenrohr runterrutschen.«
Phillipa ließ seine Augen den Sims entlangwandern und entdeckte das fragliche, an der Hauswand befestigte Rohr. Schwer und dunkel, wirkte es trotz der vielen Rostschichten ziemlich robust. Man konnte vermutlich wirklich daran hinunterrutschen – insofern man das Rohr erreichte, ohne vorher abzustürzen.
Sie schüttelte den Kopf. »Robbie, komm zurück.«
»Aber es ist leicht! Sehen Sie?« Ganz entspannt, ein Stadtjunge, der völlig in seinem Element war, tänzelte Robbie den Sims entlang. Er erreichte das Rohr und streckte die Hand aus, um sich daran festzuhalten. »Schauen Sie mir zu, Phillip. Schauen …«
Das alte Rohr zerbröselte unter seinem Griff zu einer Hand voll Rost. Robbie wankte einen Augenblick, den Mund erstaunt aufgerissen, weil das Metall sich plötzlich als so instabil erwies. Dann sah er entsetzt zu Phillipa hinüber, während das Rohr über ihm aus den rostigen Klammern brach. Sein kleiner Körper wirbelte durch die Luft, und Robbie streckte bei dem sinnlosen Versuch, den Sturz abzufangen, die Hände aus.
27. Kapitel
Der Schrei einer Frau zerriss die Luft. James, der gerade in die Droschke steigen wollte, die er herbeigewinkt hatte, hielt verblüfft inne. Es war ein schrecklicher Schrei, voller Angst. James sah sich um, suchte nach der Herkunft. Aus der Gasse? Er rannte auf den engen Durchgang zu.
Als er um die Ecke bog, musste er wegen des auf dem Boden verstreuten Mülls abbremsen. Er lief tiefer in die Finsternis hinein, wobei er mit der Routine vieler Jahre den Abfallhaufen auswich.
Eine vertraute Gestalt stand gebückt da, weinte unverhohlen und kämpfte mit einem weiteren Müllhaufen. Flip? James eilte weiter. Die Gestalt drehte sich um. »Er ist verletzt – er ist abgestürzt — O Gott, James!«
Seltsam rötliche Locken fielen in eine glatte Stirn, tränenverhangene Augen, von geschwungenen Wimpern umgehen …
Irgendwie weiblich.
Da erfasste ihn ein eiskalter Schock, und er kam stolpernd zum Stehen.
»Flip?«
Es war Flip. Und er war es auch wieder nicht. James blinzelte, seine Gedanken wanderten wirr von der Gegenwart in die Vergangenheit und wieder zurück. Die Kleider, das Benehmen… und dann diese Augen. Wie hatte er für die atemberaubende Schönheit dieser Augen nur so blind sein können? Eine düstere Ahnung stieg in ihm auf – eine Warnung.
Diese Augen.
Dann sah er die kleine Gestalt, die reglos unter dem abgebrochenen Regenrohr auf dem Boden lag. Flip rüttelte verzweifelt daran. »Robbie!«
James fiel neben Flip auf die Knie und zerrte mit aller Gewalt an dem alten Eisen. Das Entsetzen verschlug ihm den Atem, verlieh ihm jedoch zusätzlich Kraft. Er zog das schwere Rohr vom Körper des Jungen, kniete sich neben ihn und berührte vorsichtig das kleine runde Gesicht. »Rob? Kannst du mich hören, Robbie?«
Keine Antwort. So still. So weiß. Der Schmerz in seiner Brust kam überraschend. Er nahm seinen kleinen Erben zärtlich in die Arme. Sein Junge.
Sein Sohn.
James rannte zum Ausgang der Gasse und nahm Flip, der neben ihm herhetzte, kaum wahr. Collis war ihm ein Stück weit gefolgt und stand mit offenem Mund auf der Straße.
»Robbie ist abgestürzt«, informierte James ihn mit belegter Stimme. »Hol den Doktor.« Dann betrachtete er das fleckige, tränenverschmierte Gesicht der Frau, die er für seinen Freund gehalten hatte. »Und dann«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen, »sperrst du diese Spionin weg.«
Als James Robbie vorsichtig die Stufen hinauftrug, galten seine Gedanken allein seinem Sohn.
Mit dieser hinterhältigen Betrügerin würde er sich später befassen.
Der Doktor war da. Dr. Westfall war der Leibarzt des Premierministers, ein Mann von unerschütterlicher Diskretion. Die Liars riefen ihn dennoch nur selten und flickten einander möglichst auf eigene Faust zusammen. Doch sogar Kurt war bei dem Anblick des verletzten Kindes zu einem Häufchen Elend zusammengesunken.
James wartete draußen vor der Tür, während Dr. Westfall bei Robbie im Zimmer war. Er wartete den Großteil des Tages über, und das Einzige, was ihn ablenkte, war die Frage, mit welchen schmerzhaften Mitteln er diese
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