Die schöne Betrügerin
Jahren. Sie drei hatten mehr als nur einen Abend damit verbracht, einander bei Whisky und Zigarren von ihren Abenteuern zu erzählen – mit gewissen Einschränkungen, natürlich. Es erstaunte ihn noch immer, wie sehr Raubzüge und Spionage einander ähnelten. Der Unterschied lag vermutlich nur in der Zielsetzung.
Doch heute Abend hatte James nur zwei Ziele: Er wollte sich um seinen Sohn kümmern und eine gewisse Lügnerin ausfragen, die sein Leben und seine Familie auf den Kopf gestellt hatte.
Phillipa saß auf dem Bett in dem winzigen Zimmer, in das man sie gesperrt hatte. Sie war überhaupt nur deshalb in der Lage, still zu sitzen, weil ihr nichts Besseres mehr einfiel.
An die Tür zu hämmern hatte nichts gebracht. Das kleine Fenster aufzureißen und nach Hilfe zu schreien war ihr nicht gelungen. Rastlos auf und ab zu gehen hatte sie nur ermüdet. Und als sie sich auf dem schmalen Bett hatte ausruhen wollen, hatte der Schlaf sich nicht einstellen wollen, so verzweifelt und voller Schuldgefühle wie sie Robbies wegen war.
Sie sah zu, wie der Tag schwand und sich graue Dunkel heit auf die Stadt legte. Den Sonnenaufgang hatte sie aus James’ Armbeuge beobachtet, und jetzt sah sie die Sonne sinken. Allein.
Ein Teil von ihr fragte sich, ob sie sie je wieder aufgehen sehen.
»Wenn ich Sie hier rauskriege, bevor er sie sieht, dann bringen sie Sie wahrscheinlich nicht um.«
Robbie hatte das in vollem Ernst gesagt. Er wusste es vermutlich besser als sie. Sie hatte nie erlebt, dass Robbie übertrieben hätte.
Robbie. Phillipa stand auf. Wieder lief sie rastlos auf und ab – sie konnte nicht anders. Lieber Gott, wie reglos und blass er gewesen war. Sie schlang sich die Arme um ihren kalten Leib und vermochte ihn nicht zu wärmen. Sie hätte Robbie in dem Augenblick, als er das Fenster geöffnet hatte, von der Fensterbank holen sollen.
Sie hätte selbst aus dem Fenster und auf den schrecklichen Sims klettern müssen, um diesen dickköpfigen kleinenjungen wieder hereinzuholen.
Sie hätte nie James Cunningtons Nähe suchen dürfen. Alles – Robbies Unfall, James’ Verbitterung, die Gefahr, in der sie selbst schwebte, von ihrem gebrochenen Herzen ganz zu schweigen –, alles hatte an dem Tag begonnen, an dem sie dieses Haus betreten hatte.
Und jetzt saß sie in diesem mysteriösen Club gefangen.
Endlich ging die Tür auf. Phillipa blinzelte ins grelle Licht: im Zimmer war es dunkel, doch eine Kerze hatte man nicht gegeben. Eine breitschultrige Gestalt schob sich vor das Rechteck aus Licht und ließ Phillipa wieder im Schatten versinken.
"Miss Atwater, wie ich vermute?«
Ren Porter wäre liebend gern in die Dunkelheit zurückgereist, hätte er nur gekonnt. Unglücklicherweise ließen Gott und Mrs. Neely es nicht zu. Die freundliche Krankenschwester war für jede seiner Bewegungen dankbar, für jeden Muskel den er anspannte. Sie lobte ihn, als sei er ein Kind, weil er einen Löffel voll Mus gegessen hatte, und
fing an zu weinen, als er ohne Hilfe aufrecht zu sitzen imstande war.
Der einzige Weg, ihrer Bemutterung zu entkommen, war, sich schlafend zu stellen. Also tat er das, so gut es eben ging. Dennoch erschien ihm der erste Tag bei Bewusstsein, als seien es zehn.
Eine vertraute Stimme drang durch das trübe Licht und holte ihn aus dem Halbschlaf. Zum Schlafen waren seine Schmerzen zu stark, zum Wachen war er zu müde.
»Im Club ist eine ganze Menge passiert, seit du zuletzt da warst.«
Ren drehte den Kopf und blinzelte die verschwommene Gestalt an, die neben seinem Bett stand. Es war nicht leicht, die Person zu fokussieren. Endlich hielten die ständig wabernden, sich verändernden Konturen einen Augenblick inne. Jackham. Ren Porter ließ den Kopf ins sichere, ruhige Kissen sinken. Die kleinsten Bewegungen verursachten ihm Schwindel.
Die Schmerzen und die Schwäche zu verfluchen war am heutigen Tag seine Hauptbeschäftigung, aber er war es inzwischen so leid, dass er sich über die Gesellschaft des raubeinigen, vertrauten Clubmanagers freute. Und trotz seiner benebelten Sinne erinnerte er sich noch daran, die Fassade der Diebeszunft aufrechtzuerhalten. »Hallo, Jack.«
Dennoch war es seltsam, dass ausgerechnet Jackham ihn aufsuchte. Ren hätte eher Simon erwartet oder zumindest …
James.
Ren drehte seinen Kopf und machte die Augen auf, um Jackham anzublinzeln. »Warum ist James nicht da? Er ist doch nicht… er ist nicht verletzt, oder?«
Jackham schnaubte. »Kein bisschen. Geht ihm besten. Hab ihn
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