Die schöne Betrügerin
Lavinia.
Natürlich.
Zu seiner Rechten bewegte sich ein Schatten. Er sah nicht einmal hin. »Was hast du?«
»Ich wollte nur berichten, wann ich den hinkenden Mann das letzte Mal -«
»Es ist Jackham.«
Feebles sagte eine Weile lang nichts. »Uff«, keuchte er dann. »Das erklärt eine Menge, was?« Dann fuhr er mit seinem Bericht fort. »Jackham ist mit Ihrer rothaarigen Miss vor einer knappen Stunde hineingegangen. Hat ihr gar nicht gefallen. Die Lady ist erst vor ein paar Minuten rein. Ich glaub, ihr Kutscher hat mich gesehen, denn er ist auch rein.«
»Aha.« Er wurde also erwartet. »Zeit, mit der Heimlichtuerei aufzuhören. Mir fehlt dazu eh die Geduld.«
Er überquerte das Kopfsteinpflaster, passierte die Kutsche und den zurückkehrenden Kutscher, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Dann riss er die Eingangstür auf und stürmte ins Haus.
36. Kapitel
Jackham stieß die kleine Tür am oberen Ende der Treppe auf und zerrte Phillipa vom Türstock weg, an dem sie sich kurz festgekrallt hatte. Daraufhin klammerte sie sich an Jackham fest. Mit ihm zu kämpfen kam jetzt nicht mehr in Frage. Sie gerieten auf dem abschüssigen Dach unterhalb des Giebels einen Moment lang ins Wanken, dann bugsierte Jackham sie weiter nach oben.
Plötzlich hatte Phillipa eine ebene Fläche unter den Füßen und konnte wieder sicher stehen. Es gelang ihr, die Hand von Jackhams Ärmel zu lösen und schließlich auch die Augen aufzuschlagen.
Sie machte sie gleich wieder zu.
Das Haus war in einem altmodischen Stil erbaut, groß und rechteckig mit einem oben abgeflachten Dach. Rechts und links standen gleichfalls Häuser, doch sie rechnete sich keine großen Chancen aus, dass man sie sehen würde, denn beide waren niedriger. Hinter dem Haus gab es einen großen überwucherten Garten, jedoch keine Bäume, die nah genug an der Wand gestanden hätten.
Als sie das Gleichgewicht wieder gefunden hatte, ließ Jackham sie auf der Stelle los. Er hatte auch keinen Grund, es nicht zu tun, denn er stand zwischen ihr und der Tür. Und in dieser Richtung gab es ohnehin nur Lavinia und die Pistole.
Phillipa wagte sich näher an die Dachkante heran. Aus den vielen Treppen zu schließen, die er sie nach oben gezerrt hatte, wies das Haus insgesamt vier Geschosse auf. Sie spähte über die Dachkante. Der Anblick ließ sie auf die Knie sinken; sie musste der seltsamen Anziehungskraft widerstehen, die die Höhe auf sie ausübte.
Wer hätte gedacht, dass ein paar Stockwerke so hoch sein konnten.
Einen Robbie hätte diese Höhe nicht gekümmert; er hätte sich einfach nach Regenrohren oder Gesimsen umgeschaut. Unterhalb des obersten Stockwerks verlief ein schöner breiter Sims, vielleicht vier Meter unter ihr.
»Vergessen Sie es«, ertönte hinter ihr eine schnarrende Stimme. Phillipa rutschte von der Kante weg, damit Jackham sie nicht hinunterstoßen konnte. Jackham türmte sich mit verschränkten Armen über ihr auf.
»Vielleicht landen Sie auf dem Sims… vielleicht aber auch nicht. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass drei Stockwerke nicht ausreichen, um jemanden mit Sicherheit umzubringen. Vier? Kann ich nicht sagen. Kommt darauf an, wie Sie landen. Auf dem Kopf? Dann kriegen Sie einen netten Sarg und Blumen dazu. Auf den Füßen, so wie ich, dann sterben Sie nur, wenn Sie Glück haben. Wenn nicht, dann wird Ihnen Ihr restliches Leben lang jeder Schritt zur Qual.«
Sein Tonfall war sachlich, er schaute ohne jegliche Angst in die Tiefe. Phillipa nahm an, dass er sich nicht fürchtete, weil ihm ohnehin schon das Schlimmste widerfahren war.
Sie hielt sich von ihm fern und bewegte sich zur Mitte des Dachs, wo sie sich neben einen Kamin kauerte, so kalt er auch war. Wenigstens bekam sie keinen Rauch in die Augen. Sie versuchte, einen Weg zu finden, der sie aus ihrer Zwangslage befreite.
Leider fiel ihr kein einziger ein.
James fand Lavinia in dem einzigen Zimmer, in dem noch Möbel standen. Das heißt, so weit man ein gigantisches Bett und einen Frisiertisch Möblierung nennen konnte.
Das Haus war wohl eines ihrer Liebesnester; mit dem Geld angemietet, das der Hochverrat ihr eintrug. Es diente dem Geschäft und offenbar auch dem Vergnügen.
Lavinia war eine einzige Verlockung. Sie erwartete ihn lüstern aufs Bett gestreckt in nichts als einem Unterkleid, das mit Brüssler Spitze besetzt war. Natürlich bezog sie ihre Unterwäsche auf dem Schwarzmarkt. Alles ergab plötzlich Sinn.
Sie war nie schöner gewesen. Ihr Haar war kunstvoll
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