Die schöne Betrügerin

aufging, dass sie gar keine Chance hatten, sie zu finden. Sie war nur eine Ameise in einem wimmelnden Hügel.
    Lavinia stand unter der Tür und lächelte sie affektiert an.
    Das nächste Pub, die nächste Nachricht von Feebles. James spürte, wie sein Herzschlag versuchte, den Droschkengaul anzutreiben.
Schneller. Nun lauf schon!
    Jedes Nachlassen des Tempos, jeder langsame Milchkarren, der ihren Weg kreuzte, dehnte die Sekunden ins Unendliche.
    Das nächste Pub. Die nächste Nachricht. »Westlich. Das Black Lion.«
    Er hätte auf Dalton warten sollen, der vermutlich ein paar Männer mitbringen würde.
    Phillipa.
    Schneller.
    Lavinia schnippte mit dem Finger nach Phillipas kurzem Haar. Phillipa sah sie von der Seite an. »Ich beiße.«
    Lavinia schnaubte, wich aber zurück und wandte sich an Jackham, der mit der Pistole noch immer auf Phillipas Stirn zielte. »Was könnte sie wissen?«
    »In jedem Fall genug, um mein Büro zu durchsuchen.« Jackham sah Lavinia mit zusammengezogenen Augen an. »Wie ich höre, war sie gestern bei dir. Was hast du ihr erzählt?«
    »Nichts. Du weißt doch, was für einen Handel wir geschlossen haben. Ich kann dich nicht verraten, ohne mich selbst zu verraten, und umgekehrt.«
    Phillipa beobachtete das Spielchen der beiden genau. Der Verräter misstraute also seiner Mätresse…
    »Das ist vermutlich ein Aspekt des Geschäfts, den man selten zu sehen bekommt«, sagte Phillipa. »Aber wenn ich es mir recht überlege, ist die Sache durchaus logisch. Er hintergeht immerhin seine Freunde, warum sollte er also zögern, Sie zu hintergehen? Und Sie haben Ihren eigenen
    Liebhaber betrogen, warum sollten Sie also zögern, Jackham den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen?«
    Die beiden starrten sie mit eiskalten Augen an. »Sie reden Unsinn.« Lavinia machte einen sehr überzeugten Eindruck, doch Phillipa bemerkte, wie sie Jackham einen besorgten Blick zuwarf.
    »Wirklich? Es ist doch offensichtlich, dass Mr. Jackham Ihnen keinen Deut mehr vertraut als mir.«
    »Weniger«, sagte Jackham.
    Lavinia zog die Oberlippe hoch und fletschte katzenhaft die Zähne. »Ich habe dich für deine Hilfe immer gut bezahlt«, sagte sie zu ihm.
    »Du hast mich belogen.«
    Sie lachte. »Meine Geschichte hat dein patriotisches Herz doch gerührt, oder nicht? Seltsam, dass dann die enorme Geldsumme dich bewogen hat, deine Freunde zu hintergehen.«
    Phillipa blinzelte erstaunt. »Sie waren das?« Sie sah von Jackham zu Lavinia. »Ich dachte, Sie hätten James unter Drogen gesetzt, ihn verhört und so lange gefoltert, bis er geredet hat.«
    Lavinia lächelte und drehte sich weg. Ein Mann in der Livree der Winchells betrat den Raum und flüsterte Lavinia etwas ins Ohr. Dann war er schon wieder verschwunden. Ihr Kutscher, keine Frage. Die Tatsache, dass Jackham mit einer Pistole auf Phillipa zielte, hatte keinen erkennbaren Eindruck auf ihn gemacht. Erstaunlich. Ein wahrlich gediegenes Exemplar der dienenden Klasse.
    Lavinia drehte sich wieder um, ihre Augen leuchteten. Du meine Güte. Wenn dieser Frau etwas Freude bereitete, konnte es nichts Gutes sein.
    »Wie es scheint, haben wir einen weiteren Gast. Wenn du mich entschuldigen würdest, Jackham. Vielleicht kannst du Miss Atwater… aufs Dach bringen; es wird gerade repariert. Du kannst durch den Speicher hinauf, und man hat auch einen schönen Blick auf die Straße. Dort kannst du nach anderen Neuankömmlingen Ausschau halten. Ja, das passt bestens. Hier unten im Haus sind Geräusche einfach zu gut hörbar.« Sie griff sich mit einer Handbewegung, die so schnell wie der Schlag einer Schlange war, Jackhams Pistole. »Die wirst du nicht brauchen. Ich muss mich jetzt frisch machen.« Womit sie anmutig aus dem Raum rauschte.
    Phillipa sah ihr mit einem fast schon hysterischen Staunen hinterher. Sicher, man sollte immer möglichst gut aussehen, wenn man einen Mord beging. Phillipa musste noch viel lernen, um eine wahre Lady zu werden. Nur schade, dass sie nicht die Zeit dazu hatte.
    Als er am nächsten Pub ankam, fiel James förmlich aus seiner Mietdroschke. Die Nachricht, die ihn dort erwartete, beinhaltete eine Adresse nur ein paar Blocks von seinem Standort entfernt. Er machte sich gar nicht die Mühe, den unwilligen Kutscher zu einer weiteren Runde zu überreden, sondern warf dem Mann eine Pfundnote hin. Er rannte los.
    Als er sich dem Haus näherte, sah er, dass eine elegante Kutsche davor parkte. Das Wappen der Winchells erstrahlte in der Morgensonne.