Die schöne Diva von Saint-Jacques
Zapfsäulen draußen stehen.«
»So bleib doch ruhig, mein Gott«, zischte Vandoosler Leguennec an.
»Dabei bin ich dann zum ersten Mal seit Mittwoch morgen bei Tageslicht um das Auto herumgegangen, um den Tankdeckel zu öffnen. Der Tankdeckel sitzt auf der rechten Seite, wie bei allen Autos. Und da hab ich’s gesehen.«
»Was gesehen?« fragte Leguennec plötzlich aufmerksam.
»Die Inschrift. Auf der staubigen Beifahrertür hat jemand was mit der Hand hingekritzelt. Erst habe ich gedacht, es wäre ein Kind gewesen. Aber die machen das doch sonst auf der Windschutzscheibe und schreiben ›Ferkel‹ oder sowas. Also habe ich mich runtergebeugt und gelesen. Mein Auto ist schwarz und wird immer schnell schmierig und dreckig, und die Schrift war sehr deutlich zu lesen, wie auf einer Tafel. Da habe ich kapiert. Das war dieser Dompierre, der das auf mein Auto geschrieben hat, bevor er gestorben ist. Er war nicht sofort tot, nicht wahr?«
Leguennec hatte sich mit angehaltenem Atem vorgebeugt.
»Nein«, sagte er. »Er ist erst einige Minuten später gestorben.«
»Dann hatte er die Zeit und die Kraft, einen Arm auszustrecken, als er auf der Erde lag, und zu schreiben. Den Namen seines Mörders auf mein Auto zu schreiben. Zum Glück hat es seitdem nicht geregnet.«
Zwei Minuten später rief Leguennec den Fotografen des Kommissariats und stürzte auf die Straße, auf der Masson seinen schwarzen, dreckigen Renault geparkt hatte.
»Beinahe hätte ich ihn noch in die Waschanlage gefahren«, rief Masson, der hinter ihm herlief. »Das Leben ist unglaublich, nicht?«
»Sie sind wohl nicht ganz bei Trost, so ein Beweisstück auf der Straße stehenzulassen! Jeder Idiot könnte da versehentlich drüberwischen!«
»Stellen Sie sich vor, man hat mir nicht erlaubt, ihn im Hof Ihres Kommissariats abzustellen. Vorschrift, haben sie gesagt.«
Die drei Männer hatten sich vor die rechte vordere Tür gekniet. Der Fotograf bat sie, zu Seite zu treten, damit er seine Arbeit machen könne.
»Ein Abzug«, sagte Vandoosler zu Leguennec. »Ich will sobald wie möglich einen Abzug.«
»Wieso das?«
»Du bist nicht der einzige, der an dem Fall sitzt, und das weißt du sehr gut.«
»Allerdings. Du kriegst deinen Abzug. Komm in einer Stunde wieder.«
Gegen zwei ließ sich Vandoosler mit dem Taxi vor der Baracke absetzen. Das war teuer, aber die Minuten zählten auch. Er betrat eilends das leere Refektorium und packte den Besenstiel, der immer noch nicht abgepolstert war. Er schlug siebenmal dröhnend gegen die Decke. Sieben Schläge bedeuteten ›Abstieg aller Evangelisten. Mit einem Schlag rief man den heiligen Matthäus, mit zwei Schlägen den heiligen Markus, mit drei den heiligen Lukas und mit vier ihn selbst. Mit sieben alle. Das System hatte Vandoosler aufgestellt, weil es alle leid waren, die Treppen umsonst runter- und wieder raufzusteigen.
Mathias, der nach Hause gekommen war, nachdem er in Ruhe bei Juliette zu Mittag gegessen hatte, hörte die sieben Schläge und gab sie an Marc weiter, bevor er hinunterging. Marc gab sie an Lucien weiter, der sich von seiner Lektüre losriß und dabei vor sich hin brummelte: »Truppenverlagerung an die vorderste Front. Erfüllung der Mission.«
Eine Minute später waren sie alle im Refektorium. Das System mit dem Besen war tatsächlich wirkungsvoll, wenn man mal davon absah, daß es die Decke beschädigte und nicht erlaubte, nach außen zu kommunizieren, wie beispielsweise das Telefon.
»Und?« fragte Marc. »Hat man Gosselin geschnappt, oder hat er sich vorher erschossen?«
Vandoosler stürzte ein großes Glas Wasser hinunter, bevor er redete.
»Stellt euch einen Typen vor, der gerade mit mehreren Stichen niedergestochen worden ist und der weiß, daß er sterben wird. Wenn er noch die Kraft und die Möglichkeit hat, eine Nachricht zu hinterlassen, was schreibt er dann?«
»Den Namen des Mörders«, antwortete Lucien.
»Alle einverstanden?« fragte Vandoosler.
»Das ist doch klar«, sagte Marc.
Mathias nickte.
»Gut«, sagte Vandoosler. »Ich denke dasselbe. Und ich habe mehrere solcher Fälle in meiner Laufbahn erlebt. Das Opfer schreibt immer den Namen seines Mörders, wenn es noch kann – und wenn es ihn kennt. Immer.«
Mit ernstem Gesicht zog Vandoosler den Umschlag mit dem Foto des schwarzen Autos aus seiner Tasche.
»Christophe Dompierre«, fuhr er fort, »hat einen Namen auf die staubige Tür eines Autos geschrieben, bevor er gestorben ist. Dieser Name ist drei Tage
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