Die schöne Diva von Saint-Jacques
hätte.«
»Warum?«
»Es hat ihn traurig gemacht und zu nichts geführt. Dann ist Großvater eines Tages krank geworden. Ein paar Monate später ist er gestorben, und wir haben geerbt. Georges ist mit gesenktem Kopf zu mir gekommen. Er hat mir gesagt, daß seit drei Monaten ein Haus zu verkaufen sei – mitten in Paris und mit Garten. Er käme bei seinen Mopedfahrten häufig daran vorbei. Mich hat der Garten gereizt. Wenn man auf dem Land großgeworden ist, dann fällt es einem schwer, auf Gras und Bäume zu verzichten. Wir haben uns das Haus zusammen angesehen und uns entschieden. Ich war hin und weg, vor allem, weil ich ganz in der Nähe Räume entdeckt hatte, in denen ich ein Restaurant aufmachen konnte. Hin und weg... bis zu dem Tag, als ich den Namen unserer Nachbarin erfuhr.«
Juliette bat Vandoosler um eine Zigarette. Sie rauchte fast nie. Ihr Gesicht war müde und traurig. Mathias brachte ihr ein großes Glas Sirup.
»Natürlich habe ich Georges zur Rede gestellt«, fuhr Juliette fort. »Wir haben uns angeschrien. Ich wollte alles wieder verkaufen. Aber es war nicht möglich. Mit all den Arbeiten im Haus und im Tonneau, mit denen wir schon begonnen hatten, gab es kein Zurück mehr. Er hat mir geschworen, er würde sie nicht mehr lieben, na ja, fast nicht mehr, er wolle sie bloß ab und zu sehen, vielleicht ihr Freund werden. Ich habe nachgegeben. Ich hatte keine andere Wahl. Er hat mir das Versprechen abgenommen, niemandem etwas davon zu erzählen und es vor allem Sophia nicht zu sagen.«
»Hatte er Angst?«
»Er hat sich geschämt. Er wollte nicht, daß Sophia herausfindet, daß er sie bis hierher verfolgt hat, oder daß das ganze Viertel davon erfährt und sich das Maul darüber zerreißt. Das ist verständlich. Für den Fall, daß uns jemand fragen würde, haben wir beschlossen, zu sagen, daß ich das Haus gefunden hätte. Niemand hat uns übrigens danach gefragt. Als Sophia Georges wiedererkannte, haben wir erstaunt getan, haben sehr darüber gelacht und gesagt, daß das ja ein unglaublicher Zufall sei.«
»Uns hat sie das geglaubt?« fragte Vandoosler.
»Ich denke schon«, erwiderte Juliette. »Sophia schien nie an irgend etwas gezweifelt zu haben. Als ich sie zum ersten Mal sah, konnte ich Georges verstehen. Sie war wunderbar. Man konnte ihrem Charme nicht widerstehen. Anfangs war sie nicht oft da, sie war viel auf Tournee. Aber ich habe versucht, sie möglichst häufig zu sehen, sie ins Restaurant zu locken.«
»Warum?« fragte Marc.
»Im Grunde habe ich gehofft, Georges helfen zu können, indem ich nach und nach ein bißchen für ihn zu werben begann. Ich wollte ein bißchen die Kupplerin spielen. Das war vielleicht nicht sehr edel, aber er ist schließlich mein Bruder. Es hat nicht geklappt. Sophia grüßte Georges freundlich, wenn sie ihm begegnete, und dabei blieb es. Schließlich hat er sich damit abgefunden. Alles in allem war seine Idee mit dem Haus gar nicht so dumm. Ich für meinen Teil habe mich auf diese Weise mit der Zeit mit Sophia angefreundet.«
Juliette trank ihren Sirup aus und sah sie nacheinander an. Schweigende, besorgte Gesichter. Mathias bewegte seine Zehen in den Sandalen.
»Sag, Juliette«, fragte Vandoosler, »weißt du, ob dein Bruder am Donnerstag, dem 3. Juni, hiergewesen ist oder ob er verreist war?«
»Am 3. Juni? An dem Tag, als Sophias Leiche gefunden wurde? Was hat das für eine Bedeutung?«
»Keine. Ich würde es nur gerne wissen.«
Juliette zuckte mit den Schultern und griff nach ihrer Tasche. Sie holte einen kleinen Kalender heraus.
»Ich notiere mir all seine Reisen«, sagte sie. »Damit ich weiß, wann er nach Hause kommt, um ihm sein Essen zu machen. Er ist am 3. morgens losgefahren und am nächsten Tag zum Mittagessen zurückgewesen. Er war in Caen.«
»Und in der Nacht vom 2. auf den 3. war er hier?«
»Ja«, antwortete sie. »Das wissen Sie so gut wie ich. Ich habe Ihnen jetzt die ganze Geschichte erzählt. Sie werden daraus doch kein Drama machen, oder? Es ist einfach nur die unglückliche Liebesgeschichte eines jungen Mannes, die ein bißchen zu lange gedauert hat. Mehr ist darüber nicht zu sagen. Und mit dem Überfall hatte er nicht das geringste zu tun. Schließlich war er ja nicht der einzige Mann in der Truppe!«
»Aber er war der einzige, der sich noch Jahre später an ihre Fersen heftete«, sagte Vandoosler. »Und ich weiß nicht, wie Leguennec das finden wird.«
Juliette stand plötzlich auf.
»Er hat doch unter einem
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