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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Jüdin!‹ Sie erinnerte sich an dieses Ereignis nicht, wohl aber an ein anderes im selben Gebäude, vielleicht sogar auf demselben Stock, das konnte sie nicht mehr rekonstruieren, wohl aber das andere Ereignis, als sie zu diesen drei Spöttern und Unnachgiebigen bitter gesagt hatte, sie werde nicht mit ihnen sprechen, sondern mit ihren eigenen Vorgesetzten, mit Menschen, die für dieses Land verantwortlich seien und ganz bestimmt ihre Lage, ihre Haltung verstünden, ohne Rücksicht auf die idiotische Tatsache, daß sie GostomskaSeidenman heiße, Irma Gostomska-Seidenman. Die drei schüttelten die Köpfe, einer sagte: »Gut, gut! Warum Zeit verlieren…« Sie nahm ihre Handtasche, aber als sie nach der Mappe mit den noch nicht durchgesehenen Papieren griff, was sie beim Verlassen ihres Büros gewöhnlich tat, um daheim noch ein bißchen zu arbeiten, sagte einer der Männer mit Nachdruck, sie solle die Akten dalassen, es bestehe kein Grund, sie mitzunehmen. »Es ist vorbei«, sagte er. Und hatte recht. Es war vorbei. Später aber, nach Jahren, wurde ihr bewußt, daß dieses inwendige Instrument in ihr zerstört war, sie hörte in sich einen falschen Ton, denn Stuckler erschien wie ein kaum greifbarer Schatten, Stuckler war ein Phantom, ein Symbol, ein Ereignis, während jene drei, die damals kamen und ihr nicht erlaubten, die Mappe mitzunehmen, und auch Frau Stefa, die ihr Gesicht zum Fenster drehte, als Irma in Begleitung der drei Männer durch das Sekretariat ging, die Wirklichkeit waren, das endgültig geschehene, aber doch heftig innerhalb einer Sekunde brutal und unwürdig abgeschnittene Leben. Und nur daran erinnerte sie sich. Nicht an Stuckler, Müller, Herrn Filipek und Pawełek, nicht an Dr. Adam Korda, nur an die Männer in ihrem Arbeitszimmer, an Frau Stefas dem Fenster zugewandte Silhouette, aber auch an die gedunsenen, aufgeschwemmten und unfreundlichen Gesichter ihrer späteren Gesprächspartner, an die Hände der Zöllner auf ihrem Gepäck, ihren Papieren, Büchern, Notizen, nur daran erinnerte sie sich, während sie in ihrem Zimmer an der Allée de la Motte-Picquet in den Spiegel schaute, eine alte Frau und einsame Jüdin auf dem Pariser Pflaster, die Polen in der Kehle spürte wie einen Tampon oder Knochen. Manchmal sagte sie sich: ›Ich bin ungerecht. Das war mein Vaterland, also bin ich ungerecht!‹ Aber gleich darauf schluckte sie mühsam ihren citron pressé und fuhr erleichtert fort: ›Warum soll ich gerecht sein, da ich doch eine alte Frau bin, der man Unrecht getan und alles genommen hat, nur weil sie Irma Seidenman heißt?‹ Und sie wollte nicht mehr gerecht sein. Jeder hat das Recht, ungerecht zu sein, wenn Gott das Unglück über ihn hat kommen lassen.
      Doch während sie in Richtung Koszykowa-Straße ging, gestützt auf Johann Müllers Arm, wußte sie noch nicht, daß sie im Laufe der kommenden fünfundzwanzig Jahre täglich die Schwelle des Gebäudes auf der Schuch-Allee überschreiten und später dieses Gebäude auf ebenso lächerliche wie klägliche Weise verlassen würde, weil dort, wo ihr Judentum sie für immer hätte festhalten sollen, ihr Judentum zum Entlassungsgrund wurde, so wie jetzt ihr Polentum zum Entlassungsgrund geworden war und später zum Grund für das Festhalten geworden wäre. Während sie nun an Johann Müllers Arm ging, wußte sie noch nicht, daß sie in dreißig Jahren, ihr schmutziggraues Haar in dem Zimmer an der Allée de la MottePicquet kämmend, eine tragische Gestalt sein würde, aber ganz anders tragisch als jetzt, an der Ecke der Koszykowa-Straße, wo sie wie durch ein Wunder dem Tod im Gestapo-Gebäude auf der Schuch-Allee entgangen war. Sie wußte nichts von dem allem und kannte ihre Gedanken, Gefühle, Träume nicht, die erst später kommen sollten, in einer gänzlich anderen Welt ohne jede Beziehungen zu der sie beide, Irma und Müller, umgebenden Wirklichkeit, während sie in die kleine Konditorei traten, sich an ein Tischchen setzten und bei einer großen, brünetten Kellnerin Kuchen bestellten, die Herr Müller mit ›Gnädige Frau‹ anredete, weil sie bis vor kurzem die Frau eines berühmten Schriftstellers und selbst eine in Europa bekannte Pianistin gewesen war, in Kürze aber zur Leiche einer namenlosen, unter den Trümmern begrabenen Frau werden sollte.
      »Ich kriege nichts herunter«, sagte Irma Seidenman und schob das Tellerchen mit dem Kuchen von sich. »Erst jetzt fühle ich mich schwach.«
    »Ich bin wirklich dumm«, sagte

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