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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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aber fürchterlich, verwendet mit Vergnügen die vulgärsten Ausdrücke, schüttet mir den Kognak ins Gesicht, seine Augen sind dunkel und schmal wie Schlitze, er schwingt immer noch die Knute und droht mit der Kibitka und mit Sibirien, ›ich lasse dich in Ketten legen, du Hurensohn! du krepierst in der Verbannung, du Hurensohn!‹, nach einer Weile aber sitzt er wieder hinter seinem Schreibtisch, ein sanftes, warmes Lächeln, er schenkt wieder Kognak ein und streicht über meine Hand, ›geben wir das dem Vergessen anheim, Iwan Iwanowitsch, ich bitte Sie nur innig, nie wieder, nie wieder…‹ Und zum Schluß, während er mich zur Tür begleitet, sagt er noch mit melancholischem Gesichtsausdruck: ›Ich liebe die Menschen, Iwan Iwanowitsch, und mein Herz blutet, sobald ihnen Unrecht geschieht, glauben Sie mir das. Doch dies ist ein höheres Gebot, ein höheres Gebot. Ich suche sozusagen die philosophischen Begründungen und kann sie wahrlich oft nicht finden. Wenn Sie einmal bei mir vorbeikommen, könnten wir über diese Probleme plaudern, ich brauche eine freundschaftliche Seele, die Gesellschaft eines vernünftigen Menschen, der vielerlei durchdacht hat…‹ Ja, etwa so, wenn nicht schlimmer, wäre unsere Angelegenheit bei einem Moskowiter ausgegangen, gnädige Frau.«
      Irma Seidenman hörte diese Geschichte von ferne. Jetzt, wo die Zeit verging, war sie wieder dem Käfig auf der Schuch-Allee näher, der Nacht der großen Abrechnung und Erwartung. Darum gewiß sagte sie, als Müller geendet hatte: »Aber sie sind doch anders, unvergleichlich anders. Am meisten fürchte ich die Gestapo.«
    »Dem läßt sich schwer widersprechen, gnädige Frau«, entgegnete Müller. Er wollte noch etwas hinzufügen, verstummte jedoch. Eine Flut unangenehmer Gedanken erfaßte ihn und riß ihn mit sich. Es waren schmerzliche Gedanken, weil er wie nie zuvor seine Verbindung mit den Deutschen, sein Deutschtum spürte. Dessen Gewicht bedrückte ihn. Uns fehlt die Prise Wahnwitz, dachte er, wir sind zu nüchtern. Vielleicht bin ich deshalb fortgegangen, hierher, unter die Polen, weil in mir immer diese Prise Wahnwitz war, ein Galopp der Phantasie, der keinem echten Deutschen widerfährt. Vom Wahnwitz berührt, hört er auf, Deutscher zu sein, sagt er sich los von seinem Blut und seinem Boden. Besser sein auf jedem Gebiet, unerreichbar sein, das ist deutscher Ehrgeiz. Am schönsten komponieren, am produktivsten arbeiten, am klügsten philosophieren, am meisten besitzen, am effektivsten totschlagen! Nun ja, dachte er voller Bitterkeit und Schmerz, aber gerade das ist der echte Wahnwitz. Kein Wahnwitz ist die Mutwilligkeit der Gedanken und Taten, das Leben als Tanz oder als Lied. Im nüchternen Ehrgeiz, im unermüdlichen Streben nach der Erstrangigkeit, in allem steckt der deutsche Wahn. Diese Frau hat recht. Es gibt nichts Grausameres. Keine Moskauer Vorstellung kommt dieser geradlinigen, ehrlichen Leidenschaft zu führen gleich, die den deutschen Geist geprägt hat. Sie hat recht. Die Heuchelei des Moskowiters ist schrecklich und zerstörerisch, aber sie ist nie vollkommen, stets kann man einen Riß finden, einen Sprung, durch den ein klein wenig von der einfachen Menschenseele sickert. Wenn die Geschichte den Deutschen einst die Pflicht zur Verstellung auferlegt, werden sie die vollkommensten Scheinheiligen unter der Sonne sein. Mein Gott, was muß ein Deutscher wie ich leiden, ein unvollendeter, ganz und gar nicht auf deutsche Weise organisierter Deutscher mit einem Fehler im Herzen, der dies alles durch die Brille slawischer Erfahrung sieht, so ein Deutscher, angesteckt von der gesegneten Krankheit des Polentums, die gerade deshalb so schön ist, weil sie unvollkommen, unvollendet, ungewiß, suchend, unordentlich, launenhaft, ungebändigt ist, genau wie ein Verrückter, den ein Engel an der Hand führt.
      »Gewiß haben Sie recht«, sagte er zu Irma Seidenman, die im übrigen mit ihren Gedanken ganz woanders war und seine Stimme überhaupt nicht vernahm, »gewiß haben Sie recht, denn bei einem Moskowiter fehlt die Perfektion, immer erreicht er etwas nicht, immer vernachlässigt er etwas, deshalb erweist sich sein Streben nach der ungeteilten Macht über den Menschen am Ende als unfruchtbar. Das Schlimme nur ist, daß ihr hier immer zwischen Hammer und Amboß sein werdet.«
    Über das Tischchen gebeugt, plötzlich seltsam gealtert und besorgt, machte er sich bewußt, daß er ein Großteil seines Lebens einer Sache gewidmet

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