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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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Müller. »Ich biete Ihnen
    Kuchen an, dabei haben Sie seit zwei Tagen nichts gegessen.«
      »Ich habe keinen Hunger«, entgegnete sie. »Ich bin irgendwie… überfüllt. Ich kann das nicht ausdrücken.«
      »Die Nerven«, sagte Müller. »Morgen wird alles gut. Sie müssen sich hinlegen und alles überschlafen…«
      »Ausgeschlossen, ich kann nicht einschlafen. Ich möchte jetzt nicht allein sein…«
      »Möchten Sie sich vielleicht zu Freunden oder Bekannten begeben?«
      »Nein, nein. Ach, ich weiß nicht. Ich bin völlig durcheinander.«
    »Ich benachrichtige Filipek, daß alles in Ordnung ist.«
      »Bitte, ich kenne ihn kaum. Aber natürlich. Ich möchte ihm von ganzem Herzen danken.«
      Plötzlich brach sie in Tränen aus. Sie senkte den Kopf, die Tränen liefen ihr über die Backen. Müller sagte leise:
    »Weinen Sie nur, weinen Sie nur.«
      Die dunkelhaarige Pianistin trat herzu und strich Irma mitfühlend über den Kopf wie einem kleinen Mädchen.
      »Tränen müssen sein«, sagte sie. »Aber ich bringe Ihnen etwas Zuverlässiges.«
    Irma Seidenman hob ihre blauen, nassen Augen.
    »Zuverlässiges?« fragte sie. »Mein Gott!«
      Sie zog ihr Taschentuch und wischte sich das Gesicht ab. Dann schnaubte sie sich laut die Nase, als wäre sie nicht die elegante und kultivierte Witwe eines Arztes oder gar eines Artillerieoffiziers. Die Kellnerin stellte ein Gläschen mit einer braunen Flüssigkeit vor Irma hin und sagte:
    »Trinken Sie das.«
    Irma Seidenman trank es aus.
    »Furchtbar stark!« rief sie und lächelte. Die Kellnerin nickte.
    »Sehen Sie. Das sind meine ›Gestapotropfen‹.«
      »Ich würde sie gern auch kosten«, sagte Müller, »und hoffe, Sie verweigern sie mir nicht, gnädige Frau.«
    »Versteht sich«, sagte die Kellnerin.
    Die Zeit verging. Müller telefonierte mit dem Eisenbahner Filipek und informierte ihn über Frau Gostomskas Ergehen und den Erfolg der ganzen Angelegenheit. Dann kehrte er zu dem Tischchen zurück und trank noch ein Gläschen ›Gestapotropfen‹. Er lauschte Irma Seidenman, die von ihrem Aufenthalt in dem Käfig auf der Schuch-Allee berichtete. Die Zeit verging. Schon waren sie einander nicht mehr fremd. Wäre ich zwanzig Jahre jünger und wären die Zeiten anders, würde ich mich in diese Frau verlieben, dachte Müller. Jetzt genügt es, daß sie gerettet ist. Plötzlich lachte er laut auf. Irma Seidenman warf ihm einen verwunderten Blick zu.
      »Ich habe mir gerade überlegt«, sagte er, »wie außergewöhnlich das alles ist. Mein Leben ist außergewöhnlich. Stört Sie mein Parteiabzeichen am Rockaufschlag nicht?«
    »Ich weiß doch, wer Sie sind«, entgegnete sie.
      »Das ist aber keine Maskerade, gnädige Frau. Das ist die Wahrheit. Ich bin ein Deutscher, ein echter Johann Müller. Verstehen Sie das?«
      »Ich verstehe«, antwortete sie ruhig. »Es gibt unterschiedliche Deutsche. Das weiß jeder, ich bitte Sie…«
      »Heute weiß das jeder, doch wenn der Krieg weitergeht, wenn diese ganze Schweinerei weitergeht, werden die Polen vergessen, daß es unterschiedliche Deutsche gibt. Und wer bin ich dann? Was wird dann aus mir?«
      »Sie sprechen nicht im Ernst«, antwortete Irma Seidenman. »Hunderte von Menschen hier kennen Sie. Bitte fürchten Sie sich nicht.«
    Müller zog leicht die Brauen zusammen.
      »Ich fürchte mich vor nichts, gnädige Frau. Angst? Nein, Angst ist das nicht! Ich denke an meine Zugehörigkeit, wenn ich das so nennen darf. Wo gehöre ich hin? Hier oder dort? Es geht nicht um mich, denn ich weiß, ich gehöre hierher. Aber werden es die Leute nach dem Kriege, im unabhängigen Polen auch für selbstverständlich halten, daß ich hierher gehöre? Werden die Polen nach allem, was jetzt zwischen Deutschen und Polen geschieht, der Meinung sein, daß ich trotz allem hierher gehöre?«
      »Aber selbstverständlich«, sagte Irma Seidenman, obgleich sie plötzlich Unsicherheit empfand oder eher Angst vor dem Unrecht, das diesem Mann widerfahren könnte.
      »Ich bitte Sie«, sagte Müller, » der Marschall  nannte mich ›mein dicker Hansio‹, er sagte ›Hansio‹ zu mir. Wissen Sie, daß ich den Marschall vor über vierzig Jahren kennengelernt, daß ich seine geheimen Flugblätter von Lodz nach Warschau geschafft habe? Der Marschall sagte: ›Hansio soll fahren. Der führt jeden Moskowiter an der Nase herum‹. Mein Gott, wie lange liegt das zurück!«
      »Und Sie haben die Moskowiter an der

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