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Die schoene Luegnerin

Die schoene Luegnerin

Titel: Die schoene Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jude Deveraux
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auch nicht gut vorstellen.
    Was meinen Sie, wie lange wird es dauern, bis die nächste Postkutsche kommt? «
    »Eine Woche ungefähr«, erklärte der Mann unbekümmert.
    Carrie kehrte dem Postschalter den Rücken zu. Eine Woche? Ungefähr?
    Sie setzte sich auf die schmutzige Bank und überlegte, was sie jetzt anfangen sollte. Sie könnte sich in diesem schrecklichen kleinen Haus einquartieren, das man hier Hotel nannte. Und was soll ich dort tun? fragte sie sich.
    Sie hatte Josh verschwiegen, daß sie kaum noch Geld übrig hatte. Obwohl sie nicht wenig bei sich gehabt hatte, war ihre Barschaft nach und nach geschwunden. Aber sie bereute keinen Cent, den sie ausgegeben hatte, und war froh, daß die Kinder jetzt in einem hübschen sauberen Haus lebten. Nur konnte sie es sich jetzt nicht mehr leisten, tagelang in einem Hotel zu logieren, egal wie billig es auch sein mochte.
    Sie öffnete ihre Geldbörse und zählte die Münzen. Zehn Dollar und zwanzig Cents waren ihr noch geblieben, nachdem sie die Fahrkarte nach Maine bezahlt hatte.
    Geld, dachte sie, darüber hatte Josh ständig gesprochen, als wäre es das Wichtigste auf der Welt. Immer und immer wieder hatte sie ihm klarzumachen versucht, daß es weit bedeutendere Dinge gab, aber er hatte ihr nie geglaubt.
    Sie lehnte ihren Rücken an die Wand und schloß die Augen. Wie konnte sie eine Woche in dieser Stadt überleben ohne einen nennenswerten Betrag in der Tasche? Wovon sollte sie ihr Essen und die Übernachtung bezahlen? Sie mußte ihren Vater telegraphisch um Geld bitten... Aber das war auch nicht möglich. So weit im Westen gab es kein Telegraphenamt, und ein Brief würde Wochen oder sogar Monate brauchen, bis er in Maine eintraf. Vielleicht konnte sie zur Bank gehen und sich Geld leihen. Aber was konnte sie als Sicherheit anbieten? Zweiundzwanzig Koffer mit getragenen Kleidern und anderen unwichtigen Dingen?
    Sie verzog das Gesicht. Wäre das nicht eine Genugtuung für Josh, wenn er bei seinem nächsten Besuch in der Stadt erfahren würde, daß Miss Carrie Montgomery keinen Cent mehr in der Tasche gehabt und den guten Namen ihres Vaters benutzt hatte, um jemanden um Geld anzubetteln? Er würde höhnisch grinsen und sagen, daß er immer schon gewußt hätte, wie nutzlos sie war — ohne ihren Vater war sie ein Niemand.
    »Ich werde es allein schaffen«, sagte sie laut.
    »Haben Sie etwas gesagt, Mrs. Greene? « erkundigte sich der Mann am Schalter.
    Carrie lächelte. »Kein Wort. « Sie stand auf. »Wissen Sie, wo ich hier eine Arbeit finden kann? «
    Der Mann schien zu denken, daß sie einen Witz gemacht hatte. »Arbeit? In dieser Stadt? Hier wurde in Jahren nicht so viel Geld ausgegeben wie in der letzten Woche — Sie selbst haben es den Leuten bezahlt. Hier gibt’s für niemanden Arbeit, deshalb ziehen ja auch so viele Leute woandershin. «
    Ermutigende Neuigkeiten, dachte Carrie ironisch. Trotzdem lächelte sie den Mann an und bedankte sich, ehe sie die Poststation verließ. Draußen hob sie ihr Gesicht der Sonne entgegen und zog ihre Rehlederhandschuhe an. Was konnte sie unternehmen, um Geld zu verdienen? Wie konnte sie überleben, bis die Kutsche sie von hier wegbrachte? Sie betrachtete die auf dem Wagen gestapelten Koffer und den schlafenden Mann, der in seinem Schatten lag, und plötzlich wurde ihr klar, daß sie noch nicht bereit war, nach Hause zurückzukehren und ihrer Familie einzugestehen, daß sie kläglich versagt und sich zum Narren gemacht hatte, weil sie einem Mann nachgelaufen war, der sie zurückgewiesen hatte. Sie wollte nicht nach Hause fahren und sich die Augen ausweinen, bis sie keine Tränen mehr übrig hatte. Sie konnte schon im Geist ihre Brüder und ihre Standpauken hören, und sie sah die Tränen in den Augen ihrer Mutter und das traurige Gesicht ihres Vaters. Außerdem mußte sie ihrem ältesten Bruder Rechenschaft über das Geld, das sie verbraucht hatte, ablegen. Er würde bei weitem nicht so nachsichtig sein wie die anderen. Nein, ihr ältester Bruder würde ihr deutlich zeigen, wie sehr sie ihn enttäuscht hatte, und das wäre weit schlimmer als die Ratschläge und Zurechtweisungen der anderen.
    Sie zog resolut an ihren Handschuhen. Nein, sie war auf keinen Fall bereit, nach Hause zu kriechen und sich demütig für ihr Scheitern zu rechtfertigen.

12. Kapitel
    Sechs Wochen später
    Sechs vornehme Karossen standen vor dem neuen Modesalon, der den phantasievollen Namen Paris in der Wüste trug. Kein einziger Stadtbewohner

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