Die schoene Luegnerin
um. »Kommst du auch bald ins Bett? «
»Ich schlafe heute nacht nicht bei dir«, entgegnete Josh. »Ich schlafe in dem großen Bett. «
»Mit Carrie? « fragte Dallas.
»Mit Carrie«, bestätigte Josh, als wäre das die normalste Sache der Welt.
Als die Kinder verschwunden waren, drehte er sich zu Carrie um.
»Ich bin nicht sicher... «, murmelte sie, aber sie wußte nicht, wie sie den Satz beenden sollte. Hätte sie ihm sagen sollen, daß sie die Nacht nicht miteinander verbringen sollten, weil ihr dann der Abschied noch schwerer fallen würde? Es war unmöglich, noch mehr Liebe zu dieser Familie zu empfinden, als sie es ohnehin schon tat. Fürchtete sie etwa, daß sie nach einer gemeinsamen Nacht noch mehr Tränen vergießen würde? Auch das erschien ihr kaum wahrscheinlich. Konnte sie hoffen, daß Josh sie nach dieser Nacht nicht fortschicken würde?
Sie sah ihm in die Augen — in dunkle Augen, die glänzten vor Sehnsucht und Verlangen —, und plötzlich konnte sie keinen klaren Gedanken mehr fassen. Sie breitete die Arme aus und flüsterte: »Josh. «
Er lief auf sie zu, hob sie hoch und trug sie ins Schlafzimmer.
11. Kapitel
Als Carrie am nächsten Morgen erwachte, stand die Sonne schon am Himmel. Sie erschrak. Eigentlich hätte sie längst angezogen sein sollen, aber dann sank sie lächelnd in die Kissen zurück und dachte an die vergangene Nacht. Joshs Hände hatten sie so zärtlich liebkost, er hatte so sensible Hände wie ein Musiker, und er hatte sie geküßt und ihr gezeigt, wie er geküßt werden wollte.
Sie hatten sich beinahe die ganze Nacht geliebt, und die Begeisterung und das Drängen, die das erste Mal am Flußufer bestimmt hatten, waren der Rücksicht und der Geduld gewichen. Carrie war fasziniert von Joshs Körper, seiner Stärke und dem Spiel seiner Muskeln unter der gebräunten Haut gewesen. Sie hatte ihn nach den Narben gefragt, die er an manchen Stellen hatte, und er hatte ihr geantwortet... aber nicht immer. Nach einer Weile war ihr klargeworden, daß er ihr bereitwillig Auskunft über alles gab, was vor seinem sechzehnten Lebensjahr geschehen war, aber alle Erlebnisse, die er danach gehabt hatte, blieben sein Geheimnis.
Er selbst war mit seinen Fragen sehr zurückhaltend und mehr an ihrem Körper interessiert gewesen, und Carrie hoffte, daß er nicht der Meinung war, schon alles über sie zu wissen. In dieser einen Nacht hatte sie sich mit der Gegenwart zufriedengegeben und keinen Gedanken an das, was ihr in der Zukunft widerfahren mochte, verschwendet.
Einmal hatte sie gesagt: »Josh, ich liebe dich. « Aber er hatte geschwiegen und sie noch fester an sich gedrückt, als hätte er Angst, sie gehen zu lassen.
Carrie streckte sich wohlig in ihrem Bett, als die Tür aufgerissen wurde. Josh baute sich vor ihr auf und funkelte sie so finster an wie nie zuvor.
»Was ist los? « fragte sie erschrocken. »Ist etwas mit den Kindern? «
»Ich habe sie zu meinem Bruder gebracht. Deine Koffer sind bereits aufgeladen, und ich habe einen Kutscher aufgetrieben, der das Fuhrwerk nach Maine bringt. Du mußt dich rasch anziehen, damit wir rechtzeitig in die Stadt kommen«, fügte er hinzu und verließ den Raum.
War das derselbe Mann, mit dem sie die Nacht verbracht hatte? War das der Mann, dem sie ihre Liebe gestanden hatte?
Sie stieg aus dem Bett — ihrem Ehebett — und zog sich mit zitternden Händen an. Diese Nacht hatte seinen Entschluß kein bißchen ins Wanken gebracht, und er gestattete ihr nicht einmal, von den Kindern Abschied zu nehmen. Aber was hätte sie ihnen auch sagen können? Daß sie abreisen wollte? Keinesfalls hätte sie ihnen eröffnen können, daß ihr Vater sie zur Abreise zwang, sie wollte nicht, daß die Kinder ihrem Vater Vorwürfe machten. Vielleicht war es ja wirklich besser, wenn sie die Kinder nicht mehr sah, sie hätte nur noch mehr geweint und wäre nie in der Lage gewesen, ihnen etwas zu erklären, was sie selbst nicht verstand.
Als sie fertig angekleidet war, packte sie ihre Sachen, die sie im Schlafzimmer verteilt hatte, in eine Reisetasche und ging auf den Hof. Josh saß bereits auf dem Kutschbock des Fuhrwerks, und der Mann, der es sich zwischen den Koffern auf der Ladefläche bequem gemacht hatte, tippte zur Begrüßung mit einem Finger an seinen Hut. Joshs Pferd — der Ackergaul, nicht der edle Hengst — war hinten am Wagen angebunden. Als Carrie in der Tür erschien, sprang Josh auf den Boden, um ihr auf den Kutschbock zu helfen, aber er sagte
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