Die schöne Parfümhändlerin
Dann, nach einiger Zeit, verfolgte er, wie das Licht zunächst verschwand, bevor es im Stockwerk darüber wie ein verheißungsvolles Leuchtfeuer im nebelkalten Wintermorgen Venedigs wieder auftauchte.
Sie war ganz anders, als er sie sich vorgestellt hatte. Eine Schönheit hatte er erwartet, so wie es die Mode derzeit in Venedig verlangte: blondes Haar, hellblaue Augen, voller Busen, runde Hüften. Das Bild einer Frau, wie es der Florentiner Botticelli so glorios auf der Leinwand zum Leben erweckt hatte.
Julietta Bassano würde niemals mit der von Botticelli dargestellten Liebesgöttin verwechselt werden. War sie doch groß und schlank und trug ein einfaches schwarz-weißes Gewand, soweit Marcos das unter ihrem weiten Umhang hatte erspähen können. Keine sanften Kurven an Busen, Hüften und Bauch, wie es in diesen anspruchsvollen Zeiten wünschenswert schien. Nur klare Linien hatte er erkannt. Lange Beine, schmale Schultern. Das Haar, das unter ihrer Kapuze hervorlugte, erschien ihm schwarz wie die Nacht. Nicht blond wie das der Damen, die stundenlang ohne Kopfbedeckung in der Sonne saßen, um ihre Haare zu bleichen. Ihre Gesichtszüge hatte er leider nicht genau erkennen können. Doch er glaubte zu wissen, dass ihr Gesicht so schmal wie die übrige Gestalt war: blass, oval, mit scharfen Backenknochen und spitzem Kinn.
Trotz allem! Sie besaß etwas – doch was war es nur? Ein gewisser Zauber umgab sie, eine rätselhafte Traurigkeit hüllte sie ein wie ein zweiter Samtumhang. Nicht zu übersehen und dennoch so verführerisch geheimnisvoll.
Rätseln musste Marcos stets auf den Grund gehen, und Schwierigkeiten forderten seine Kämpfernatur heraus. Dieser Wesenszug war das größte Problem in seinem Leben. Und auch jetzt musste er alles über diese eigenartige Frau herausfinden, gleichgültig, wohin es ihn führen würde. Auf jeden Fall hielt er es für ausgeschlossen, dass sie tatsächlich zu der Sorte Frauen gehören könnte, die sein Auftraggeber Ermano bevorzugte. Diese Frau war keine sanfte, goldgelockte, kichernde Schönheit. Diese Frau umgaben Dunkelheit und – wie er gesehen hatte – verborgene Dolche.
Nein, sie war wirklich nicht die Sorte Frau, die Ermano normalerweise bevorzugte. Aber Marcos, er war bezaubert.
Vielleicht erwies sich seine Aufgabe doch als erfreulicher, als er angenommen hatte. Erfreulich – bis er sie vernichten müsste. Wahrlich sehr bedauerlich.
3. KAPITEL
Julietta stand auf Zehenspitzen auf einem Hocker und stellte vorsichtig den letzten Flakon auf die Glasetagere. Kritisch begutachtete sie die stattliche Reihe von zierlichen Gefäßen aus glänzendem Glas, aus hauchdünn geschliffenem Elfenbein oder leuchtendem Onyx. Meist brachten ihre Kundinnen ihre eigenen Parfümfläschchen zum Füllen mit speziell für sie kreierten Düften, einige wenige jedoch kauften auch gerne neue Flakons und waren willens, für die beste Qualität auch viel zu bezahlen. Julietta war zufrieden. Die neue Sendung, die per Schiff aus Frankreich gekommen war, sah sehr gut aus.
Prüfend legte sie den Kopf zur Seite. „Was meinst du, Bianca? Sieht die Auslage ansprechend aus?“ Bianca, die gerade die lange Platte des Kundentisches polierte, trat neben ihre Herrin und begutachtete die Reihe glänzender Fläschchen. Sie war eine typische Vertreterin eines osmanischen Nomadenstammes, zierlich, schmal, dunkelhäutig und so klein, dass sie Julietta gerade mal bis zur Schulter reichte. Seit Julietta nach leidvollen, düsteren Tagen in Mailand in die Stadt der Masken geflüchtet war, war ihr Bianca stets eine treue Gefährtin.
„Sehr gut, Madonna!“, bestätigte Bianca lächelnd und wedelte mit dem Staublappen kurz über das Regal. „Die Flakons werden uns einen schönen Gewinn bringen, nachdem sie nun endlich eingetroffen sind.“
„ Sì, nachdem die fremden Piraten endlich vertrieben worden sind“, antwortete Julietta. Für die venezianische Schifffahrt waren die Piraten Anfang des Jahres eine echte Plage gewesen. Immer wieder hatten sie die Handelskonvois mit ihren Ladungen voller Gewürze, Seidenstoffe, Wein und Zucker und schließlich auch mit den kostbaren Parfümphiolen geplündert und am Einlaufen in den Hafen gehindert. Julietta hatte keinen Lavendel mehr aus Frankreich oder weiße Rosen aus England erhalten, ganz zu schweigen von den exoti scheren Blüten und Gewürzen aus Spanien und Ägypten. Nun waren die Piraten schließlich besiegt worden. Darüber waren unzählige abenteuerliche und
Weitere Kostenlose Bücher