Die schöne Schwindlerin
bewegte sich zu einem Büroschrank am anderen Ende des »Klassenzimmers« und zog einen Stapel politischer Karikaturen heraus. »Mir ist aufgefallen, dass auf einem guten Drittel der Zeichnungen Mr Edward Wadsworth erscheint. Nachdem ich das festgestellt hatte, wurde mir klar, dass auf vielen anderen Blättern Personen dargestellt sind, die Wadsworth nahe stehen.«
Dalton nickte. »Exzellent.« Er studierte den Stapel einen Moment lang. »James, ich möchte unbedingt wissen, wer uns diesen idiotischen Auftrag eingebrockt hat. Tun Sie mir den Gefallen, und überprüfen Sie die betreffenden Herren, ja? Einer davon ist unser Mann. Ich denke, es wäre nützlich zu wissen, um wen es sich handelt.«
James sank ein klein wenig in sich zusammen. »Alle?«
Dalton ließ den Blick auf den Stapel sinken. »Ich denke, wir können die Suche auf Karikaturen beschränken, die im letzten Monat erschienen sind, was meinen Sie? Das hier scheint mir bestenfalls ein Racheakt zu sein. Ich denke, es muss sich um einen jüngeren Vorfall handeln.«
Simon runzelte die Stirn. »Edward Wadsworth… kennen Sie ihn, Dalton?«
Dalton schüttelte den Kopf. »Nicht persönlich. Aber ich habe von ihm gehört. Er ist Waffenfabrikant. Es heißt, er könne alles zu Geld machen, vorausgesetzt, er ist wirklich so reich, wie man sagt.«
»Also ein Kaufmann.«
»Ja, aber keiner aus der Mittelklasse. Wadsworth verkehrt, wie ich gehört habe, in elitären Kreisen.« Dalton dachte einen Moment lang über seine Möglichkeiten nach. »Ich kann mich ihm auf gesellschaftlicher Ebene kaum noch nähern, jetzt wo ich als Thorogood auftrete.«
James schnaubte. »Nicht, nachdem Wadsworth so oft verunglimpft worden ist. Er würde Thorogood kaum über seine Schwelle lassen.«
»Nein, das würde er nicht.« Dalton kniff die Augen zusammen. »Aber es gibt mehr als einen Weg, in ein Haus zu gelangen.«
Kapitel 4
»Tante Clara, darf ich bitte ein Blatt von dem ganz dünnen Papie r haben, das du zum Durchzeichnen verwendest?«
Aus tiefster Konzentration gerissen sah Clara von ihrer Zeichnung auf. Kitty stand in der Tür und schaute sie hoffnu ngs voll an. »Entschuldige, Liebes. Hattest du angeklopft? habe nichts gehört.«
»Ja, Tante Clara. Kann ich ein Blatt von dem Pauspapier haben?«
Clara schob ein Löschpapier über ihren neuesten »Sir Thorogood«, als Kitty sich näherte. Sollte Kitty tatsächlich künstlerische Neigungen zeigen? »Wenn du zeichnen möchtest, habe ich da ein paar sehr schöne Papiere -«
»Ach was, du weißt, ich hasse das Zeichnen. Aber Bitty will die Sir — Thorogood — Karikatur von heute für sich behalten, und ich möchte mir für mich eine Kopie machen.«
Clara vergaß ihre Enttäuschung und gab sich dem Künstlerglück hin. »Also hat sie dir gut gefallen. Worum geht es denn?«
»Oh, es ist äußerst amüsant, Tante Clara. Es geht um eine Mutter aus der Gesellschaft, die ihre Töchter auf den Heiratsmarkt bringt, nur dass da ein echter Auktionator steht, und die Töchter sind doch tatsächlich -«
Kühe.
Oh, verflucht. Das schlechte Gewissen versetzte dem Künstlerglück einen Schlag und beförderte es zur Tür hinaus. Die Zeichnung war das Resultat einer ganz besonders zermürbenden Saison als Anstandsdame, zu der Beatrice sie genötigt hatte. Sie hatte vergessen, das Blatt aus der letzten Mappe zu nehmen, die sie Gerald Braithwaite übergeben hatte.
Also, falls sie je daran gedacht hatte, die Familie in ihr Doppelleben einzuweihen, dann konnte sie das jetzt vergessen.
Kitty lief mit ihrem Pauspapier davon, und Clara kehrte an die Arbeit zurück, doch die Unterbrechung hatte ihr die Konzentration geraubt. So sehr sie Kitty und gelegentlich sogar Beatrice auch mochte, manchmal ersehnte sie nichts so sehr wie einen einsamen, ruhigen Ort. Es brauchte kein richtiges Künstleratelier zu sein, auch wenn das ihr Wunschtraum war, sondern einfach nur ein Ort, den sie wirklich ihr Eigen nennen konnte und wo sie alleine über ihr Schicksal entscheiden konnte.
Das war es, was sie durch die Heirat mit Bentley vor allem hatte erreichen wollen: ein eigenes Zuhause, eine Zukunft, eine Familie.
Als das entrüstete Geschrei eines geschwisterlichen Streits durch die Wände drang, schnaubte Clara nur und packte resigniert die Zeichenutensilien zusammen.
Den Teil ihrer Wunschträume, der eine Familie betraf, hatte sie ganz gewiss verwirklicht.
Es sollte ihr eine Mahnung sein – sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst.
James
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