Die schöne Spionin
überschwänglicher und blumiger, bis es schon fast nach einer Farce klang.
Simon musste sie stoppen. »Was is das für’n Dreck?«
Mrs Applequist legte naserümpfend die Zeitung weg. »Dieser ›Dreck‹ ist der Grund, warum ich hier bin. Ich suche nach jemandem. Er ist verschwunden, und ich muss ihn finden.«
»Und wer is das?«
»Sein Name ist James Cunnington. Er ist mein – er ist mir sehr lieb«, sagte sie.
James.
Sie hatte den Namen ihres Liebhabers preisgegeben.
»Was hat das mit mir zu tun?«
»Mit Ihnen an meiner Seite kann ich mich viel ungezwungener in der Gesellschaft bewegen. Ich kann Fragen stellen, Nachforschungen anstellen. Der Spion, um den es hier geht, ist der so genannte Griffin. Zumindest haben sie das in den vorherigen Ausgaben so gut wie gesagt. Wenn ich den Griffin finde, dann finde ich vielleicht auch James.«
»Der Griffin, soso.«
»Ich bin nicht hundertprozentig sicher. Aber ich habe nur eine einzige Spur, der ich folgen kann, also fange ich da an. Es handelt sich um einen Brief, den ich einmal bei James gesehen habe, er war mit ›Der Griffin‹ unterzeichnet.«
»Nicht gerade viel.«
»Oh, ich weiß, es ist nur eine winzige Chance. Aber, wie auch immer, ich muss James finden. Er ist alles, was mir geblieben ist.«
Ihre Stimme war sanft, aber Simon hörte die eiserne Entschlossenheit heraus. Nicht gut. Das waren mörderische Leute. Auch wenn sie nur eine Frau war, die ihren Geliebten suchte, sie würde jede Menge Staub aufwirbeln.
Sie war nicht nur selbst gefährlich, sondern auch selbst in Gefahr. Sie hatte vermutlich keine Ahnung, worauf sie sich da eingelassen hatte.
»Wir haben heute viel zu tun, Mr Rain.« Sie lächelte und platzierte ihre Serviette neben den Teller. »Wenn Sie zu mir in den Salon kommen würden, sobald Sie gefrühstückt haben?«
Simon nickte, während sie aufstand, und konnte sich nicht verkneifen, ihr Hinterteil anzustarren, während sie den Raum verließ. Er hatte Schwierigkeiten, den Blick von ihr zu lösen. Es würde eine sehr lange Woche werden.
Da konnte er genauso gut das Essen genießen. Er griff zur Gabel und machte sich wieder über sein Frühstück her.
Ein Mann, der es mit ihr zu tun bekam, musste bei Kräften bleiben. Man konnte nie wissen, was sie von einem erwartete.
»Ich mach das nich! Jetzt nich und später auch nich! Und wenn Sie glauben, Sie kriegen mich doch dazu, dann ham Sie sich geschnitten!«
Die gepuderte Perücke traf in einer Talkumexplosion die Wand des Schlafzimmers. Mrs Applequist und Button, der Kammerdiener, den sie angeheuert und auf äußerste Verschwiegenheit eingeschworen hatte, sahen dem Puder zu, wie er langsam zu Boden schwebte und die anderen Sachen, die heute Morgen unter Simons Unerbittlichkeit zu leiden gehabt hatten, mit einer dünnen weißen Schicht bedeckte.
Eine grausam zerknitterte Halsbinde, Kragenspitzen, und ein Monokel lagen am Boden und zeugten von Simons Widerstand gegen modischen Firlefanz.
Mrs Applequist seufzte.
Wieder.
»Also gut, Mr Rain. Vielleicht ist die Perücke ein wenig zu viel. Schließlich sollen Sie ja nicht bei Hofe erscheinen. Aber wenn wir schon ohne die Kragenspitzen und das Monokel auskommen müssen, würden Sie dann
bitte
versuchen, sich an die Halsbinde zu gewöhnen? Kein Gentleman zeigt sich ohne kniffelig gebundene Halsbinde in Gesellschaft.«
»Also gut«, murmelte Simon mürrisch und verbarg seinen Drang zu lachen. Die Rolle des widerspenstigen Kaminkehrers fing an, ihm Spaß zu machen.
Er reckte das Kinn und gestattete Button, ihm eine frisch gebügelte Halsbinde umzulegen. Die Hände des kleinen Kammerdieners zitterten, und Simon hatte einen Augenblick lang Mitleid mit dem Burschen.
Zwischen Mrs Applequists theatralischem Flehen um Verschwiegenheit und Simons Getöse musste der Mann sich Vorkommen, als habe er in einer Irrenanstalt angeheuert.
Wenn er an die letzten drei Tage zurückdachte, glaubte Simon, bald selber als Wahnsinniger durchzugehen. Jede wache Stunde nur Sprechübungen, Tanzstunden und Tafelsilber auswendig lernen.
Von der Morgendämmerung bis in die Nacht wurde er bearbeitet wie nie zuvor. Einen Mann zu spielen, der von all diesen Dingen keine Ahnung hatte, war beinahe genauso schwer, wie sie erstmals zu erlernen.
Mrs Applequist war gezwungen gewesen, ihm einen Kammerdiener zur Seite zu stellen, aber weitere Risiken ging sie nicht ein. Sie bereitete seine Lektionen selber vor, aß mit ihm, und nörgelte unablässig.
»Denken Sie an
Weitere Kostenlose Bücher