Die schöne Teufelin
Während sie nach oben sahen, ging eine Frau am Fenster vorbei. Es war dieselbe Bewegung, die Ethans Aufmerksamkeit erregt hatte.
War es Jane? Ethan konnte nur einen Umriss erkennen, bis der Lichtschein sich auf Haaren fing, die die Farbe von Feuer auf Seide hatten -
»Ihre Männer sollen warten«, befahl er Dalton, als er um ihn herumtrat. »Ich gehe zuerst rein.«
Dalton hielt ihn zurück. »Das glaube ich kaum. Maywell hat jede Menge kräftige Diener. Die könnten etwas dagegen haben.«
Ethan zeigte nach oben. »Sie ist allein, da bin ich mir sicher.«
Dalton beobachtete wieder den Schattenriss am Fenster. Seine Kiefer mahlten. »Es ist ein Risiko.«
Da er jetzt wusste, dass er Jane sehr bald wieder im Arm halten würde, fühlte sich Ethan plötzlich wie neu geboren. Er grinste und breitete die Arme aus. »Ein Risiko? Die Liebe dazu habe ich bereits mit der Muttermilch eingesogen. Ich bin ein Spieler, erinnern Sie sich?«
Dalton schnaubte. »Dann los. Schnappen Sie sie sich, und geben Sie uns dann ein Zeichen. Wenn es geht, schaffen wir sie raus, bevor wir das Haus stürmen.«
»Und was wird aus ihren Kusinen?«
Dalton nickte. »Alle Damen, wenn wir das können. Und jetzt gehen Sie!«
Ethan lief los, huschte von einem Schatten zum nächsten, rannte in seiner besten Renne-um-dein-Leben-und-deine-Gewinne-Manier, bis er die Front des Hauses erreicht hatte.
Wie es seit einigen Jahren populär war, wurden die Ecken des Hauses durch dicke Steinquader betont. Ethan überlegte, ob er diese als eine Art Leiter benutzen sollte, verwarf die Idee aber sogleich wieder. Janes Fenster lag zu weit in der Mitte. Man konnte nicht mit Gewissheit sagen, dass er es bis dorthin schaffen würde, wenn er erst einmal oben war.
Weinreben wuchsen dicht über einen Teil der Häuserwand – es war eines der wenigen Zeichen von Vernachlässigung, die Maywell an der Außenseite des Hauses zugelassen hatte. Dennoch verwarf Ethan den Gedanken sofort. Die gelenkige, auf Bäume kletternde Jane könnte es vielleicht schaffen, auf diesem Weg hinunterzugelangen, aber ihre vornehmeren Kusinen würden sich wahrscheinlich ihre damenhaften Hälse brechen.
Ethan sah nur eine Möglichkeit: Er musste am Portikus hinaufklettern und auf dem Sims unter die Fenster balancieren. Das Risiko lag darin, dass das Dach des Portikus von den anderen Schlafzimmerfenstern gut gesehen werden konnte. Falls irgendjemand im falschen Augenblick aus dem Fenster schauen würde …
Es war die einzige Möglichkeit. Rasch kletterte Ethan die Säulen des Portikus hinauf und zog sich über die reich verzierte Form über dem Türsturz. Es gab einen schlimmen Augenblick, als etwas, das er für ein aus Stein gehauenes
Akanthusblatt gehalten hatte, unter seinem Griff zerbröselte. Es war nur modriger Gips. Für einen Moment, der sich allerdings viel länger anfühlte, hing Ethan an nur einer Hand, während er mit der anderen nach einem besseren Halt suchte.
Die meisten Ornamente waren aus billigem Gips – noch mehr von Maywells Täuschungen. Ethan war von nun an sehr viel vorsichtiger, wohin er seine Hand legte.
Er schaffte es ohne einen weiteren Zwischenfall auf das Dach des Portikus und schaute hinunter. Die Liars waren nicht zu sehen, und doch wusste Ethan, dass mindestens ein Dutzend Augenpaare jeder seiner Bewegungen folgte. Er winkte ihnen zu, um zu zeigen, dass alles in Ordnung war, dann huschte er eilig zum Sims. Glücklicherweise war es aus Stein, obschon es vor Ruß und Taubendreck ganz rutschig war.
Als er das Fenster erreichte, stellte er erleichtert fest, dass es nicht verriegelt war. Er versuchte hindurchzuspähen, aber die Scheibe war wegen der feuchten Nachtluft beschlagen. Er konnte nicht viel erkennen, nur eine weiß gekleidete Gestalt, die mit gesenktem Kopf vor dem Kamin saß. Er stemmte eine Hand gegen den Spalt und öffnete langsam das Fenster.
Das Mädchen vor dem Kamin schaute nicht auf. Ihr leises Schluchzen erklärte, warum sie nicht bemerkt hatte, dass er hereingekommen war. Ein erleichtertes Lächeln stahl sich auf Ethans Gesicht. »Liebling -«
Das Mädchen drehte sich leise aufschreiend um und blinzelte ihn aus tränennassen Augen an. »M-Mr Damont?«
Ethans Herz verkrampfte sich zu einer eisigen Kugel. »Serena?«
27
Feebles fuhr seine kostbare Fracht vorsichtig durch die eben erwachenden Straßen Londons. Nur Milchmänner und Fensterputzer waren schon unterwegs. Die Straßenlampen brannten noch, wo sie nicht über Nacht leer
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