Die schöne Teufelin
abgetragenen Kleider zu haben und billige Schuhe von Shepherd’s Market, die genauso aussahen wie die teuren aus der Bond Street, nach ein paar Mal Tragen aber bereits auseinanderfielen und bis dahin schrecklich drückten.
Irgendwann konnte sich Serena nicht mehr dazu zwingen, Interesse an ihren trockenen Keksen zu zeigen. Sie verließ das Zimmer und trödelte den Flur im Erdgeschoss entlang.
Die Tür zu Papas Arbeitszimmer öffnete sich, als sie fast davor war, und eine vertraute Person eilte heraus, hatte aber kaum ein höfliches Nicken für sie übrig. Serena seufzte. Es war nur der Mann, der Papas Geschäfte für ihn erledigte, dieser kleine, rundgesichtige Kerl, der jederzeit bei ihnen aus- und einging.
Die Tür blieb offen stehen, deshalb linste Serena hinein, um festzustellen, ob Papa in Stimmung war. Sie sah, wie er sich auf seinem Schreibtischstuhl zurücklehnte, Rauchringe in die Luft blies und verstohlen lächelte.
Ermutigt klopfte Serena vorsichtig an den Türrahmen. »Darf ich reinkommen, Papa?«
Papa lächelte sie voller Wärme an, und Serena entspannte sich. Sie wusste, dass Papa sie lieber hatte als die anderen,
aber sie war sich auch ziemlich sicher, dass das allein daran lag, dass sie ihm nicht ständig mit dem Wunsch nach neuen Kleidern oder neuen Schuhen in den Ohren lag. Man musste vorsichtig sein und Papa in der richtigen Stimmung erwischen, oder er konnte grimmig werden wie ein Bär.
Sie rannte zu ihm, schlang ihre Arme um seinen Hals und legte ihren Kopf liebevoll auf seine Schulter. »Du arbeitest noch sehr spät, Papa.«
»Und du bist noch spät auf, mein Engel«, sagte er und klopfte ihr unbeholfen die Schulter.
Serena schloss die Augen und atmete tief den Papageruch nach Rauch und Sandelholz ein, der ihn umgab. Solche Augenblicke waren selten, und Serena genoss jeden einzelnen von ihnen. Einige Mädchen hatten liebende Väter, andere nicht. Serena wusste, dass sie sich glücklich schätzen konnte, dass ihr Papa hin und wieder für sie da war. Sie wünschte sich nur, solche Momente kämen öfter vor.
»Warum bist du noch nicht im Bett, Serena?«
Sie seufzte an seiner Schulter. »Ach, Jane schreibt mal wieder einen Brief. Ich glaube, sie regt sich über irgendetwas furchtbar auf, denn sie zerbricht fast die Spitze ihres Federhalters.«
Sie hatte das Gefühl, als würde er sich versteifen. »Worüber könnte Jane sich denn aufgeregt haben? Als ich heute Nachmittag mit ihr gesprochen habe, erschien sie mir noch völlig normal.«
»Ach, ich weiß nicht. Ich habe ihr über die Schulter gesehen, aber alles was ich entziffern konnte, war eine Zeile darüber, dass sie irgendwas erfahren hat.«
Papas Hand fiel von ihrer Schulter, und sie fühlte, wie er sie abschüttelte.
»Geh jetzt zu Bett, Serena«, sagte er kurz angebunden.
Seufzend richtete Serena sich auf. Sie hätte noch ein paar Sekunden schön gefunden – aber sei’s drum. Wenn sie lieb und nett war und nicht nörgelte, dann würde sie früher oder später wieder an dieser breiten Schulter willkommen sein.
Am nächsten Morgen schlenderte Ethan Pall Mall hinunter. Nahe am Wohnhaus des Prinzen war die königliche Wache nicht zu übersehen. Carlton House hatte keine Pforte im eigentlichen Sinn, aber genauso gut hätte sich ein Burggraben ohne Zugbrücke vor ihm auftun können, so breit war der Abgrund zwischen Ethan Damont und George IV.
Irgendwann warf er seine Zigarre in die Gosse und holte tief Luft. Es war eine lächerliche Aufgabe, und er war sich sicher, Maywell hatte sie ihm nur aus einem einzigen Grund gestellt.
»Es ist an der Zeit, dem Fabrikantensohn eine Lehre zu erteilen«, murmelte er vor sich hin. Ein konservativ gekleideter Mann mit Brille eilte in diesem Moment an ihm vorbei und warf Ethan einen neugierigen Blick zu. Mit einem Zucken in den Mundwinkeln beobachtete Ethan, wie er die Wache ansprach und durchgewunken wurde. »Und warum hab ich meine königliche Schleimeruniform nicht angezogen? Ach ja«, murmelte er vor sich hin, »sie wird gerade gewaschen.«
Er schlenderte voran. Die königlichen Wachen waren lange Kerle, sehr muskulös und mit geradem Rücken. Die beiden Männer am Eingang bildeten keine Ausnahme. Ethan atmete hörbar aus. Was bekamen die wohl zu essen? Elefantenmilch?
Er richtete sich zu voller Größe auf, was ein bisschen half, und zauberte ein arrogantes Lächeln auf seine Lippen, was
noch mehr half. »Hallo, beisammen. Ich hätte gerne eine Privataudienz beim
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