Die schöne Teufelin
festem Schritt die Straße in Richtung Poststation hinunterging. Erst als er um die Ecke verschwunden war, entspannte sich Jane. Der Brief war unterwegs. Hilfe war nah.
»Alter Knacker? Soso.« Die Augen des Prinzregenten blitzten amüsiert. »Die meisten Leute nennen mich ›Hoheit‹
oder sogar ›Königliche Hoheit‹. Ein paar Leuten, die ich sehr gern habe, gestatte ich, mich mit ›George‹ anzusprechen.« Er winkte Ethan zu einem samtenen Sessel und setzte sich selbst an ein riesiges Frühstückstablett. »Du, mein lieber Damont, bist die einzige Person auf dieser Erde, die mich je ›alter Knacker‹ genannt hat.«
Ethan stolperte zu seinem Sessel. Es war ihm unmöglich, den Blick von dem Prinzregenten zu lösen. Als er diesen Mann, den er nur als Collis Tremaynes stämmigen alten Onkel kannte – und den er im Stillen ›alter Knacker‹ genannt hatte -, zuletzt gesehen hatte, hatte er den reichlich ramponierten alten Knaben von seinen Handfesseln befreit und aus dem Keller einer Munitionsfabrik geführt, die einem Verräter gehörte.
»Guter Gott!« Ethan keuchte. »Der Kerl mit der Munitionsfabrik, der Sie zusammengeschlagen und gefesselt hat …«
Der Prinzregent nickte. »Louis Wadsworth«, sagte er mit vollem Mund. Ethan kam der Gedanke, dass man sich wahrscheinlich nicht mehr um Tischmanieren sorgen musste, wenn man das Oberhaupt eines Weltreiches war. Der Prinz deutete mit seiner Gabel zur Decke. »Ist jetzt im Tower.«
»Geschieht ihm nur recht«, brachte Ethan mühsam hervor. »Hat er gewusst -«
Der Prinz schüttelte den Kopf. »Nicht mehr als du. Es war ein köstlicher Augenblick, als er es herausfand – so wie jetzt.« Der Prinz grinste Ethan an. »Ich hatte mir schon gedacht, dass du es früher oder später herausfinden würdest, aber ehrlich gesagt, hatte ich schon früher damit gerechnet.«
Ethan bemerkte den kleinen Tadel kaum. Ihm schwirrte der Kopf. Er saß mit dem Prinzregenten zusammen, sah ihm zu, wie dieser sein Frühstück zu sich nahm, und würde es überleben, dass er ihn einen alten Knacker genannt hatte. Das alles raubte ihm den Atem.
»Ich glaube, ich muss mich erst mal setzen«, sagte er schwach. »Oh, ja, ich sitze ja schon.« Er holte tief Luft. »Vielleicht muss ich mich hinlegen.«
Der Prinz gluckste. »So, Damont, was bringt dich heute zu mir? Wenn du nicht wusstest, wen du da vor ein paar Wochen aus dem Keller gerettet hast, was hat dich dann um alles in der Welt dazu gebracht, meine Wachen derart zu überfallen?«
Irgendetwas in Ethans Gehirn klickte. Maywell hatte es gewusst. Irgendwie durch irgendwelche Kanäle hatte Maywell gewusst, was Ethan nicht gewusst hatte.
So wie die Liars . Ethan spürte einen eisigen Klumpen im Magen. Etheridge und Collis und sogar Rose hatten gewusst, welch kostbares Gut sie aus diesem Kellerverlies gerettet hatten. Hatten es die ganze Zeit gewusst und Ethan kein Sterbenswörtchen davon erzählt, obwohl sein Leben genauso in Gefahr gewesen war wie ihres.
Kein einziges Wort. Nicht einmal gestern, nachdem er Blut und Wasser geschwitzt hatte, um ihre dämlichen Prüfungen zu bestehen.
Sie trauten ihm noch immer nicht genug, um ihn wirklich in ihrer Mitte aufzunehmen. Fast hätte er laut aufgelacht, wenn es nicht so wehgetan hätte. So stand es also um brüderliche Kameradschaft! So viel zum Dazugehören! Es stellte sich heraus, dass Ethan für sie nichts als ein Werkzeug war.
»Es war eine Laune«, erklärte er dem Prinzen, um Fassung bemüht. Der Verrat züngelte wie heißes Blei in seinem Innern. »Es war nur eine Laune.«
15
Als Jane mit Roberts Hilfe in die Kutsche stieg, warf sie einen Blick auf Ethan, der dort bereits auf sie wartete, und drehte sich abrupt wieder um. »Ich fühle mich plötzlich etwas unwohl, Robert -«
Ethan beugte sich vor und berührte ihre behandschuhten Finger, die auf dem Rahmen des Kutschverschlags lagen. »Lady Jane, bitte … ich würde Sie heute Abend sehr gerne zu Ihrer Dinnereinladung begleiten.«
Jane war für einen Augenblick unentschlossen, ob sie einoder aussteigen sollte. Doch schließlich gab der Gedanke den Ausschlag, dass sie vielleicht nur noch diese eine Möglichkeit hatte, Mr Damont aus dem Netz aus Betrug und Verrat zu befreien, das ihr Onkel gesponnen hatte, bevor Mutter sie aus dem Haus holen würde.
Sie setzte sich und beäugte ihn argwöhnisch. Dieser verstörende, faszinierende Augenblick im zweiten Salon war ihr noch allzu lebhaft in Erinnerung. Sie würden jetzt in
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