Die schöne Teufelin
dir getan, Jane«, knurrte er. »Ganz und gar nicht recht.«
»Onkel, ich …«
»Ruhe!« Er wandte sich zu ihr um, sein Gesicht lag halb im Schatten. »Du hast schon viel zu viel gesagt.«
Dann sah Jane voller Schrecken, dass Onkel Harold den langen und detaillierten Brief an Mutter in der Hand hielt, den Jane am Morgen aufgegeben hatte.
Oh, lieber Gott, bitte hilf mir! Jane biss sich auf die Lippen. Sie würde es auf ihre schwachen Nerven schieben, entschied sie. Sie war überreizt gewesen … vor … vor Heimweh. Oder sie hatte einen Alptraum gehabt und hatte sich von ihren Ängsten ins Bockshorn jagen lassen …
Alles vollkommen lächerliche Gründe. Sie hoffte zutiefst, ihr Onkel hielte sie noch für nichts weiter als ein dummes Mädchen. Dann sah sie es – diese eisige Herzlosigkeit, die nur ihr aufzufallen schien -, und ihr Magen wurde zu Stein.
Sie würde sterben.
»Dummes Mädchen«, sagte ihr Onkel leichthin. »Dummes, überreiztes, gedankenloses Mädchen. Solche Hirngespinste über seine eigene Familie zu weben. Wahrscheinlich bist du nicht weniger verrückt als deine Mutter, was meinst du?«
Seine Wörter stürzten Jane für den ersten Augenblick in tiefe Verwirrung. Sie hatte gedacht, er würde sie ausnehmen wie einen Fisch. Sie hatte gedacht, er würde jeden zerstören wollen, der seine verräterischen Aktivitäten entdeckte. Dann wurde Jane die Bedeutung seiner Worte bewusst, und sie erkannte, was er vorhatte.
»Nein«, hauchte sie. Ihre Stimme stockte. Angst machte sich in ihr breit.
»Oh, doch.« Lord Maywell setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Mit einer schwungvollen Gebärde nahm er einen Federhalter und tippte die Spitze in ein Tintenfass. »Ein Federstrich von deinem ältesten männlichen Verwandten und du bist bereits morgen früh sicher in Bedlam – zumindest,
wenn ich denen dort eine anständige Summe zukommen lasse.«
Bedlam – das Irrenhaus. Jane bekam keine Luft mehr. Mutter hatte ihren letzten Brief nie erhalten. Was Mutter betraf, so wäre Jane einfach verschwunden. Mutter würde nie in Bedlam nach ihr suchen.
Onkel Harold schüttelte traurig den Kopf. »Bestechungsgeld, das ich natürlich von deinem eigenen Konto nehmen werde. Es ist nur recht und billig, dass ich für dein Wohlergehen dein Erbe einsetze. Geld und Irrsinn – das ist dein Erbe, meine Liebe.« Er unterschrieb, und jedes Kratzen der Feder griff Janes Nerven noch mehr an.
Dann lehnte er sich zurück und faltete seine plumpen Hände über dem Bauch. »Wir haben dich aufgenommen und wie eine unserer eigenen Töchter behandelt«, sagte er scheinheilig, obwohl das dunkle Flackern in seinen Augen auch das Eingeständnis von Schuld sein konnte. »Ich hoffe nur, dass ich schnell genug gehandelt habe, bevor dein infiziertes Wesen auf eines meiner Mädchen übergreifen konnte.«
Jane schob einen Fuß zur Seite. Sie war nicht besonders weit von der Tür entfernt, und sie war sich ziemlich sicher, dass sie es aus dem Zimmer schaffen könnte, bevor ihr Onkel seinen enormen Leib hinter seinem Schreibtisch herumgeschoben hätte. Wenn es ihr gelänge, lange genug in einer Pension unterzukommen, um eine Nachricht an …
»Wenn du wegrennst«, sagte Onkel Harold traurig, »wenn du wegrennst und schreist und dich aufführst, wird das nur meine Auffassung bestätigen, dass du irre geworden bist.«
Er hatte recht. Aber es war ihr egal. Sie drehte sich um und rannte zur Tür. Ihre Hand lag auf dem Türknauf, als
schwere Schritte hinter ihr dazu führten, dass sie von der Freiheit zurückgerissen und ihr beide Arme brutal auf den Rücken gedreht wurden.
Zwei stämmige Diener ihres Onkels hielten sie fest. Sie hatte sie nicht gesehen, so sehr hatte sie sich auf die unheimliche Vorstellung ihres Onkels konzentriert. Sie kämpfte, auch wenn es hoffnungslos war. Sie brauchte nicht mehr, als dass eine Hand abrutschte oder für nur eine Sekunde nicht so fest zugriff …
Sie standen stumm und unbeweglich da und ließen sie bis zur vollkommenen Erschöpfung kämpfen wie ein schlecht zugerittenes Pferd. Schließlich sank sie auf die Knie. Ihr war schlecht vor Schwäche, und sie ängstigte sich ungeheuerlich.
Sie würde nicht sterben. Sie würde sich nur wünschen, sie wäre tot.
Lord Maywell stand hinter seinem Schreibtisch auf. Er hatte ihrem Kampf mit mitleidigem Blick zugesehen. Sie hätte schreien können angesichts seiner Scheinheiligkeit. Der Stapel von Einweisungspapieren lag vor ihm und war mit einem großen
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