Die schöne Teufelin
jedoch nicht weiter überrascht, als er sie sah. »Warum sind Sie hier?«, fragte er, gab sich jedoch den Anschein, als wollte er das gar nicht wirklich wissen.
Ethan beugte sich aus dem Fenster. »Ich bringe Lady Jane Pennington zur Behandlung.«
Der Pförtner blinzelte überrascht. »Behandlung, ja? Das ist ja mal was ganz Neues.« Er schüttelte den Kopf. »Also gut, Sie fahren besser rein.«
Die Pforte öffnete sich unter lautestem Quietschen, und die Kutsche ratterte hindurch. Als sie sich dem Eingang näherten, beäugte Ethan misstrauisch das Gebäude. Je mehr er sah, desto weniger gefiel es ihm.
Ein uniformiertes Paar erschien auf der Treppe zum Eingang, um sie in Empfang zu nehmen, als die Kutsche ausrollte. Ethan stieg als Erster aus, dann half er Jane fürsorglich hinaus. Der Kutscher fuhr die Kutsche ein Stückchen vor, damit sie aus dem Weg war.
»Ist das die Patientin?« Die Schwester machte einen Schritt auf sie zu.
Als Erklärung reichte Ethan der Krankenschwester den Papierstapel, den Lord Maywell ihm mitgegeben hatte. Die Eingangstür stand offen. Ein goldener Lichtkegel wusch
über sie alle, während sie in der Auffahrt standen. Er atmete etwas leichter. Das schien doch gar nicht so schlimm zu sein.
Die Schwester und der Pfleger nickten sich über den Unterlagen zu, dann nahmen sie Jane an beiden Armen, um sie wegzuführen.
Das war eindeutig zu früh. Ethan hob eine Hand. »Einen Moment, bitte – warten Sie!«
Das Personal hielt nicht inne, sondern zog Jane eilig davon. Jane konnte ihm nur noch einen panischen Blick über die Schulter zuwerfen, bevor sie durch die große Doppeltür gezerrt wurde.
Hinter ihm wartete die Kutsche, der Kutscher war abgesprungen. Einen Moment lang war alles ruhig. Die Pferde hielten die Hufe still auf dem Kies, und auch die Kutsche gab keinen Laut mehr von sich.
In dieser Stille hörte es Ethan schließlich. Es war ein Geräusch wie ferne Meeresbrandung. Voller Schrecken erkannte er, was es war.
Hinter den dicken, beeindruckenden Mauern von Bedlam erklang die gedämpfte unaufhörliche Symphonie des Wahnsinns. Das Brüllen von Männern, das Kreischen von Frauen, das endlose Rattern und Klopfen von Eisen auf Eisen.
Als kleiner Junge hatte Ethan einmal die königliche Menagerie besucht. Er erinnerte sich gut daran, denn die Hoffnungslosigkeit ihrer Insassen hatte ihn in höchstem Maße verstört. Während seine Familie scheinbar unbeeindruckt von dem Geruch und dem zu Sehenden die Wege entlanggeschlendert war, hatte irgendwo ein Geräusch seinen Anfang genommen. Vielleicht war es beim Löwenkäfig losgegangen – oder einer der Affen hatte zu schreien angefangen -,
jedenfalls erschien es ihm am Ende gerade so, als würde jedes dort gefangen gehaltene Tier sein Schreien zu der Kakophonie beisteuern. Sie war um Ethan herum angeschwollen, bis er spüren konnte, wie der Lärm in seinen Knochen und Zähnen vibrierte. Bis zum heutigen Tag war es das Schrecklichste gewesen, das er jemals gehört hatte.
Er musste es sehen …
Er sprang die große Treppe zum Eingang hinauf, wobei er immer zwei Stufen auf einmal nahm. Als Erstes kam er in eine Art Vorraum, in der zwei boshaft grinsende Skulpturen des Wahnsinns eine große Doppeltüre bewachten. Ethan warf ihnen nur einen flüchtigen Blick zu, als er an ihnen vorbeieilte. Aus vollem Lauf drückte er mit beiden Händen gegen die Schnappriegel der schweren Eichentüren und stieß sie schwungvoll auf.
Der Lärm traf ihn wie eine Hitzewelle. Sein abruptes Hereinkommen fachte den Wahnsinn noch an, bis die Schreie und das Kreischen zwei Stockwerke höher von der bogenförmigen Decke zurückgeworfen wurden.
Mit weit aufgerissenen Augen und stockendem Atem blickte Ethan auf die Hölle auf Erden. Zu beiden Seiten der Galerie befanden sich Käfige, Käfige mit Frauen in zerlumpten grauen Kleidern und mit verfilzten Haaren. Einige standen vorne an den Gitterstäben, reckten ihm ihre schmutzigen Hände entgegen und schrien Bitten, die er nicht verstand. Andere lagen bewegungslos da, vielleicht schliefen sie, aber meist schauten sie mit totem Blick ins Leere.
Am anderen Ende der Galerie, hinter einer eisernen Pforte, sah Ethan gröbere Hände in die Luft greifen. Von dort hinten kam das lauteste Brüllen – es waren die eingesperrten Männer.
Da traf Ethan der Gestank. Er wand sich vor Ekel, legte seine Hand schützend über Mund und Nase, während er vor dem kombinierten Gestank von zweihundert ungewaschenen Körpern
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