Die schoene Tote im alten Schlachthof
berichtet, der
Reproduktionsmediziner ist. Er hat die Befruchtung in vitro selbst vorgenommen.
Hat Frau Rosskämper Ihnen denn nichts davon erzählt?«
»Nein.« Helena Claus schüttelte wieder den Kopf. Tränen rannen über
ihr Gesicht. »Nein, sie hat immer nur von ihrem Baby gesprochen und wie froh
sie sei, dass es endlich geklappt habe.«
Ferschweiler schwieg, ebenso Helena Claus.
»Dann war also vielleicht doch alles nur ein Missverständnis?«, fragte
sie nach einer Weile hilflos.
»Vielleicht war es das tatsächlich. Ein Missverständnis. Aber eines
mit tödlichem Ausgang.«
Ferschweiler blickte noch einmal auf die in Tränen aufgelöste junge
Frau. Irgendwie tat sie ihm nun doch leid. Aber es blieb vorerst nichts mehr zu
sagen, und er spürte, dass er dringend nach draußen an die frische Luft musste.
Ohne ein weiteres Wort verließ er das Büro.
Erst jetzt, wie aus dem Nichts, meldeten sich die Schmerzen in
seinem Kopf und in seiner Schulter zurück. Ferschweiler wollte zu Rosi, in ihre
gemütliche kleine Wohnung hinter dem »Standhaften Legionär« in der Aachener
Straße. Er wünschte sich eine Porz Viez und einen guten Teller voller Terdich
mit gebratener Blutwurst und hoffte, dass er die Kunstakademie so schnell nicht
mehr würde betreten müssen. Von Künstlern hatte er für die nächste Zeit mehr
als genug. Nur der Kunst aus Rosis Küche, der wollte er treu bleiben. Da war er
sich sicher.
Epilog
Die Kunstakademie machte in den nächsten Wochen und
Monaten einen tief greifenden Wandel durch. Neue, äußerst engagierte
Mitarbeiter und Dozenten brachten frischen Wind und produktive Ideen mit sich,
sodass das öffentliche Interesse an der schönen Toten im alten Schlachthof
allmählich abklang. In den ersten Wochen nach Abschluss der Ermittlungen
schrieb Ferschweilers alter Freund Rolf-Dieter Graz noch den einen oder anderen
Artikel für den Trierischen Volksfreund über die Dinge, die sich an der
Kunstakademie ereignet hatten, aber auch diese erschienen mit der Zeit immer
seltener. Am Ende reichte es nicht einmal mehr für einen Dreizeiler im
Lokalteil.
Das International Art Resort Müllerthal hingegen, Laszlo Kafkas
geplante Kunstakademie, wurde nie eröffnet. Ohne den kreativen Kopf des
Unternehmens, ohne Laszlo Kafka, trieb das Projekt niemand mehr weiter voran.
Viele derjenigen, die sich für Kafkas Akademie interessiert hatten, meldeten
sich stattdessen an der Kunstakademie in Trier als Teilnehmer an. Das Anwesen
in Waldbillig wurde bald von einer großen internationalen Hotelkette gekauft und
spielte danach – jedenfalls in Hinblick auf die Kunstszene – keine
große Rolle mehr.
Mit dem Wiedererblühen der üppigen Spalierrose vor der Verwaltung
der Kunstakademie kehrte im darauffolgenden Jahr das geregelte bunte Treiben
der Kunst wieder in die Ateliers an der Aachener Straße zurück. Der Skandal war
bald vollständig vergessen.
Ferschweiler für seinen Teil hätte jedenfalls auch nach seinem
Ausflug in die Welt der Kunst nicht entscheiden können, ob etwas tatsächlich
Kunst war oder wegkonnte. Er würde sich wohl noch einmal die Argumente Mike
Krügers anhören müssen.
Glossar
Boxeschösser – Angsthase
Daos – dummer Mensch
Flabbes – oberflächlicher Mann, Spaßvogel
Fraamensch – Frau
Gromperekichelcher – Kartoffelpuffer
Informel oder informelle Kunst – Sammelbegriff für die
Stilrichtungen der abstrakten (im Sinne von nicht-geometrischer,
gegenstandsloser) Kunst in den europäischen Nachkriegsjahren, die ihre
Ursprünge im Paris der 1940er und 1950er Jahre hat
Kaap – Kappe
Kaapes-Terdich – Gemisch aus Sauerkraut und
Kartoffelpüree
Kipsaté met pindasaus – niederländisch, indonesischer
Hühnchenspieß mit Erdnusssauce
Klappschmeer – belegtes Brot
Koar – Auto
Kroket en frietjes – niederländisch, Fleischkrokette
mit Pommes frites
Kuddelfleck – traditionelles luxemburgisches Gericht
aus Rinderpansen
Marjuusebetter – Schreckensruf bei Verwunderung,
zusammengezogen aus – Maria! Josef! Peter!
Moien – luxemburgisch für »Guten Tag«; wird zu jeder
Tageszeit als Gruß benutzt
Lyoner – Fleischwurst
Priejel – Prügel
Pubes – Unsinn
quant – prima
Schangen – Bewohner von Luxemburg
Schmull – schmuddelige Person
Seibrenner – Wittlicher, Wittlicher Säubrenner
Stubbi – normierte kleine, stabile, braune, bauchige
und 330 ml fassende Bierflasche
SWT – Stadtwerke
Weitere Kostenlose Bücher