Die schoene Tote im alten Schlachthof
hatte damit nichts zu tun. Wissen Sie,
ich bin eine sehr friedfertige Person. Ich bin äußerst tolerant. Wenn Sie bei
mir im Kurs wären, dann könnten Sie erst einmal tun und lassen, was immer Sie
wollen. Nur: Sie sollten sich entwickeln. Und das hat die Rosskämper eben nie
gemacht. Sie hat nicht ihren eigenen Weg gefunden, sondern mich nur kopiert.
Und das nicht einmal offen und in meiner Gegenwart. Darüber bin ich am meisten schockiert.
Denn während der Kurszeiten hat sie immer nur auf Leinwand gearbeitet.«
Moni Weiß war, obwohl sie immer noch lächelte, sichtlich verärgert.
»Das Problem war nicht, dass Sie sich im Kurs an meinem Arbeiten
orientiert hat. Das tun auch viele andere Teilnehmer. Ich finde das auch gar
nicht verwerflich. Viele von ihnen müssen ja erst einmal eine Linie finden und
die Grundtechniken erlernen, die Basics. Man orientiert sich immer zuerst
einmal am Lehrer und entwickelt dann seine eigene Technik und seinen eigenen
Stil. Aber gestern, Herr Kommissar, als ich mit dem ganzen Kurs nach Luxemburg
gefahren bin, da hat sie, die immer eine sprichwörtliche Extrawurst brauchte
und sich auch nicht für meine Theorie interessierte, die Körpermalerei
probiert. Und die ist mein eigener Ausdruck, die lehre ich nicht in meinen
Kursen! Glauben Sie mir, dafür schätzen mich Sammler und Kenner in der ganzen
Welt. Das macht sonst keiner so! Und darüber, dass die Rosskämper diese so
schamlos und vor allem hinter meinem Rücken kopiert hat, darüber bin ich nun,
da ich es weiß, mehr als entsetzt.« Moni Weiß hatte mittlerweile ihre Arme aus
dem Fliegenpilzponcho gezogen und vor der Brust verschränkt.
»Und eins versichere ich Ihnen, bei aller Menschenliebe: Wenn ich enttäuscht
bin, dann nachhaltig. Und Melanie Rosskämper ist für mich kein Thema mehr. Sie
war ein hintertriebenes Miststück.«
Ferschweiler war erstaunt, welche Abgründe sich ihm da gerade
offenbarten. Bisher hatte er noch nichts Gutes über die schöne Tote gehört. Das
gab ihm zu denken.
Sein Assistent war immer noch still. Selbst als Moni Weiß nichts
mehr sagte, schwieg er beharrlich. Anscheinend hatte es ihn hart getroffen, das
Missfallen der Künstlerin erregt zu haben.
Ferschweiler hatte für den Moment keine Fragen mehr und knuffte de
Boer am Arm. Dieser schien aus einer Art Trance zu erwachen, schaute erst ihn,
dann die Künstlerin an, sagte aber weiterhin nichts. Ferschweiler fragte
abschließend: »Aber warum überhaupt Malerei auf Haut? Das kann man dann doch
nur fotografisch festhalten, zumindest wenn man die Pelle nicht abziehen und
gerben will.«
Moni Weiß antwortete gelassen: »Unsere Haut ist ein sensibles Material.
Sie ist unser größtes und gleichzeitig das uns am wenigsten bewusste Organ. Die
Haut ist zudem ein Material mit einer weitreichenden Tradition: Haut spielte
schon immer eine wichtige Rolle in Kultur und Kunst. Denken Sie nur an das
Pergament, an Tierhäute, auf denen das gesamte Mittelalter geschrieben hat.
Zudem lässt sie sich gut bemalen. Und wenn es Ihre eigene ist, dann macht es
auch noch Spaß.«
Und während sie das sagte, zwinkerte sie Ferschweiler auf eine für
ihn unbestimmbare Art zu.
***
Nach einer kurzen Mittagspause machten sich Ferschweiler
und de Boer am frühen Nachmittag auf den Weg zu Melanie Rosskämpers Eltern. Sie
hatten es nicht besonders eilig, Ürzig an der Mosel zu erreichen, das etwa
fünfzig Kilometer flussabwärts von Trier lag. Deshalb verließ de Boer die wie
üblich samstagnachmittags leer gefegte Autobahn schon bei Schweich und bog auf
die B53 ab, die sich parallel zu der mäandrierenden Mosel durch das von
Weinbergen gesäumte Tal zog. Ferschweiler hatte den Vorschlag gemacht, diese
Strecke zu nehmen, da sie ihn an die vielen Ausflüge mit dem Motorrad
erinnerte, die er früher gemeinsam mit seinem Bruder gemacht hatte. Sein
holländischer Kollege wäre lieber auf der Autobahn geblieben und hätte den
Diesel des Dienstwagens an seine Grenzen gebracht. Aber Ferschweiler war der
Chef.
Sie durchfuhren Leiwen und Piesport, dann Bernkastel-Kues und
schließlich Zeltingen, wo der so umstrittene Hochmoselübergang gebaut werden
würde. Dann, nach knapp einer Stunde Fahrt, erreichten sie Ürzig. Sie mussten
den Ort fast ganz durchqueren, bis die prächtige Renaissancefassade des
Hauptgebäudes des Weingutes in ihr Blickfeld kam.
De Boer hatte bereits einiges zur Familie der Toten recherchiert und
Ferschweiler für die Fahrt ein Dossier zusammengestellt. Die
Weitere Kostenlose Bücher