Die schoene Tote im alten Schlachthof
Wir müssen sie stellen.«
»Dann fangen Sie um Himmels willen auch damit an«, entgegnete der
Baron in harschem Ton. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit für diesen Schmarrn.
Ich habe heute noch Wichtigeres zu tun.«
Ferschweiler fiel der verständnislose Blick der Frau auf, als ihr Gatte
laut wurde. Vielleicht ergab sich später die Gelegenheit, mit ihr allein zu
sprechen.
»Warum haben Sie Melanie aus Ihrem Leben gestrichen, Herr von Schnüffies?«
De Boer hatte seinen kleinen Notizblock aus der Tasche gezogen.
»Wissen Sie, wir sind eine alte Familie mit gewissen Traditionen«,
hob der Baron an. Auch er war wieder aufgestanden. »Wein und Pferde gehören
dazu. Und es war mir immer wichtig, dass meine Kinder diese Traditionen
fortführen, sie quasi weiterleben und damit der Familie Ehre erweisen. Aber
während aus meinen beiden Söhnen Maximilian und Leopold-Wilhelm exzellente
Reiter geworden sind und sie sich auch beim Vinifizieren als wahre Genies
herausstellten, ist Melanie nie am Umgang mit Pferden interessiert gewesen. Und
Wein wollte sie nicht machen, sondern nur trinken.«
»Aber sie hatte doch ihre Allergien, Herrmann«, schaltete sich Frau
von Corritz in das Gespräch ein.
»Papperlapapp«, fuhr ihr der Baron über den Mund. »Sie hat schon
früh angefangen zu simulieren. Konnte angeblich nicht in den Stall gehen, weil
sie dann keine Luft bekäme. Unglaublich! Bei ihren beiden Brüdern war das doch
auch kein Problem.«
»Herrmann, sie war krank«, kam es vom Fenster her. »Das haben wir in
der Uniklinik in Homburg feststellen lassen.«
»Ja, ja.« Schnüffies machte eine abwehrende Handbewegung, so als
wolle er das Argument seiner Frau beiseitewischen. »Das Gutachten: eine
Schande. Was stand denn da drin? Dass sie eine Art Heuschnupfen hatte.
Allergien hatte ich als Kind auch. Und? Habe ich meinen Weg mit den Pferden
nicht gemacht? Sie hat nur Schande über unser Haus gebracht. Nur Schande. Es
war unerträglich. Ich habe irgendwann aufgehört, sie als meine Tochter zu
betrachten. Auch sonst hat sie immer nur gemacht, was sie wollte, und so etwas
konnte ich mir nicht gefallen lassen. Ich habe meine Prinzipien, und von denen
rücke ich keinen Nanometer ab. Wo kämen wir denn da hin?«
Ferschweiler war den Ausführungen des Hausherrn aufmerksam gefolgt
und hatte dabei seinen Blick durch den Raum streifen lassen. Nun stand er auf
und ging zu einem der Bücherregale aus dunklem Holz, das eine der Wände des
großen Raumes komplett ausfüllte und das geradezu beladen war mit einheitlich
in dunkles Leder gebundenen Bänden. Er hatte nie verstanden, warum manche Leute
so viel Geld nur für Bücher ausgaben. Immerhin gab es in der Nähe der meisten
Menschen Leihbibliotheken wie die an der Weberbach oder im Palais Walderdorff,
in die er als Kind manchmal mit seiner Mutter gegangen war.
»Ihre Leidenschaft gilt also komplett den Pferden?«, fragte
Ferschweiler angesichts der Titel, die er auf den Buchrücken lesen konnte.
»Nicht nur mein Herz gehört den Pferden, Herr Kommissar«, entgegnete
von Schnüffies, der Ferschweiler verächtlich aus eiskalten Augen ansah. »Wir
pflegen hier ein besonders feines Reiten in der französischen Tradition der
Légèreté.« Wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, fuhr er sich über
seinen sorgfältig gestutzten, Ferschweiler immer noch irritierenden Bart.
»Unsere Vorbilder sind François Robichon de la Guérinière, François Baucher und
die vielen anderen Meister … Aber davon haben Sie sicherlich nicht den
geringsten Schimmer.«
»Im Gegenteil«, meldete sich de Boer unvermittelt zu Wort. »Ich bin
auch ein großer Anhänger der gerittenen ›Leichtigkeit‹.«
»Ja?«, fragte von Schnüffies sichtlich amüsiert. »Dann halten Sie es
wohl auch mit Nuno Oliveira: ›Reiten Sie Ihr Pferd glücklich‹.« Dann brach er
in ein tiefes Lachen aus, von dem Ferschweiler nicht wusste, ob es echt oder
nur aufgesetzt war. De Boer hingegen blieb völlig ruhig.
»Wie ich sehe, sind Sie darüber hinaus auch ein großer
Bücherliebhaber«, stellte de Boer fest.
»Ja«, antwortete der Baron. »Das Reiten ist nicht meine einzige
Passion. Ich sammle auch Hippologica.«
»Hippo– was?«, fragte Ferschweiler, der sich ausgeschlossen fühlte.
»Hippologica – Pferdeliteratur. Und da habe ich über die Jahre
eine beachtliche Sammlung zusammengebracht, immerhin nun fast viertausend Bände
aus sechs Jahrhunderten. Interessieren Sie sich dafür?« Noch bevor
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