Die schoene Tote im alten Schlachthof
von Schnüffies
wohnten auf einem der bekanntesten Weingüter der Region. Ihre Reputation in der
Öffentlichkeit verdankten sie ihren ausgezeichneten Weinen, für die Herrmann
Laurenz von Schnüffies, Melanie Rosskämpers Vater, regelmäßig auf nationaler
wie internationaler Ebene Preise gewann. Zu ihrer Bekanntheit trug aber auch
das Weingut als solches bei, war es doch aufgrund seiner architektonischen
Gestalt und seiner Geschichte ein echtes Kleinod.
Ursprünglich hatte es sich im Besitz der Zisterzienser aus der Abtei
Himmerod in der Eifel befunden. 1804, nach der Säkularisation des
Kirchenbesitzes unter Napoleon, gelangte das Weingut in die Hände der
belgischen Familie van Wijkeren, die es historistisch umbauen ließ und 1886 mit
der noch heute zu sehenden prächtigen, eher an den flämischen Raum, weniger an
die Moselregion erinnernden Neorenaissancefassade versah. Doch die Zeiten
meinten es nicht gut mit den van Wijkeren. Nachdem sie den 1857 plötzlich einsetzenden,
fast schon kometenhaften Aufstieg des Moselweins zu Weltruhm zu nutzen gewusst
hatten, verspekulierte sich das Familienoberhaupt Carel van Wijkeren und musste
seine Güter an der Mosel 1912 an den damals noch jungen Friedrich-Wilhelm von Schnüffies
verkaufen, Melanie Rosskämpers Großvater, der durch die Erfindung eines
neuartigen Isoliermaterials für Stromleitungen früh zu einem außergewöhnlichen
Vermögen gekommen war.
»Mannomann«, sagte Ferschweiler, als er das Dossier gelesen hatte.
De Boer steuerte derweil den Wagen auf den Hof vor dem Hauptgebäude des
Weingutes und brachte ihn knirschend auf dem Schotter zum Stehen. »Das ist ja
eine interessante Historie.«
»Aber in der Akte steht nicht alles«, erwiderte de Boer. »Kennst du den
Bau nicht auch aus dem Fernsehen?«
Ferschweiler sah seinen Assistenten erstaunt an. Anscheinend wusste
er nicht, dass Ferschweiler das gängige Fernsehprogramm grundsätzlich ablehnte.
»Na«, erklärte de Boer, »hier ist doch diese Fernsehserie gedreht worden.
Es ging da um eine Winzerfamilie, die …«
Weiter kam er nicht. Neben der Fahrertür erschien ein junger Mann in
Reiterkluft, hinter dem ein offensichtlich temperamentvoller
Hannoveraner-Hengst aufgeregt wieherte und mit den Hufen scharrte. Mit seiner
behandschuhten Hand klopfte der Pferdeführer an das Fenster.
»Sie müssen hier wegfahren«, sagte er, nachdem de Boer das Fenster
heruntergelassen hatte. »Das ist kein Parkplatz. Wollen Sie Wein kaufen, oder
kommen Sie wegen der Pferde?«
»Weder noch«, antwortete de Boer, der die Augen nicht von dem Rassepferd
mit seiner geflochtenen Mähne lassen konnte. »Wir sind von der Trierer Polizei
und würden gern mit Herrn von Schnüffies sprechen.«
Der junge Mann bat um etwas Geduld, wies de Boer einen Parkplatz zu
und verschwand in Richtung des imposanten, mit vielen Schleifgiebeln verzierten
Gebäudes. Den Hengst hatte er zuvor einer jungen Frau ausgehändigt, die in
eleganter Reitkleidung mit zwei weiteren hochschultrigen Vollbluttieren über
den Hof kam. Leise hörten die Polizisten im Inneren ihres Wagens das gleichmäßig
elegante Klackern der Hufe.
»Pferde«, entfuhr es Ferschweiler. »Wieso denn Pferde? Ich dachte,
von Schnüffies macht in Wein?«
Diesmal war es de Boer, der erstaunt schaute. »Hast du die Akte nicht
richtig gelesen? Herrmann Laurenz von Schnüffies ist einer der berühmtesten
Dressurreiter.«
»Ich kenne nur Reiner Klimke und seinen Hengst Alarich«, sagte
Ferschweiler.
»Ahlerich«, korrigierte ihn der Holländer. »A-h-l-e-r-i-c-h. Ein wunderbarer
Wallach, kein Hengst, wenn auch etwas eigenwillig. Aber er hat zusammen mit
Klimke über fünfzig Grand-Prix-Siege eingefahren. Von Schnüffies fällt in die
gleiche Kategorie, auch wenn er nicht so medienpräsent ist wie Klimke.«
»Ist Reiten auch ein Hobby von dir?«, fragte Ferschweiler
verwundert, als sie aus dem Wagen stiegen.
De Boer musste verlegen lächeln. »Ja«, antwortete er schließlich.
»Ich habe lange Jahre jedes Wochenende Reitstunden genommen, damals, als ich
noch nicht in Europa gelebt habe. Ich war von Pferden absolut begeistert.
Allerdings hatte ich nie selbst eins.«
De Boer hätte sicherlich noch weitererzählt, wenn nicht der junge
Mann von eben zurückgekehrt wäre, um ihnen mitzuteilen, dass Baron von
Schnüffies sie gemeinsam mit seiner Gemahlin in der Bibliothek erwarte. Er
würde sie dorthin begleiten.
Die drei Männer überquerten den Vorplatz, erklommen die zehn Stufen
der
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