Die Schöne und der Tod (1)
innen spürt er es. Er will nicht, dass sie geht. Er will, dass sie bleibt. Dann gehen seine Augen zu.
Zwölf
Max hat nur seinen Trainingsanzug an, den Mantel hat er in der Dunkelheit nicht gefunden. Er wollte das Licht nicht anschalten, sie nicht wecken, er wollte sie überraschen mit dem Duft der Brötchen. Leise ist er die Treppe hinunter, zur Tür hinaus in die Morgendämmerung.
Es ist kalt, minus neunzehn Grad. Max geht schnell. Er hätte sich wärmer anziehen sollen, er hätte im Bett bleiben sollen, es sind noch hundert Meter bis zum Geruch des Brotes. Die Verkäuferin stapelt Semmeln hinter der Auslage, gleich ist er bei ihr. Er stolpert über den Schnee, er hat nur seine Pantoffeln an, er friert. Noch ist niemand auf der Straße, er flucht, seine Ohren, seine Finger, alles an ihm schreit nach Wärme. Die Bäckerei leuchtet vor ihm, die Verkäuferin kommt immer näher, gleich wird sie ihn freundlich anlächeln, sich über ihn wundern, weil er so früh kommt heute. Max rennt die letzten Meter, doch plötzlich bleibt er stehen. Er dreht sich zur Seite.
Auf der Bank sitzt Dennis. Er bewegt sich nicht, seine Augen sind geschlossen, sein Kopf zur Seite gekippt, ohne Schuhe, keine Jacke, nur sein Hemd, halb aufgeknöpft, und auf der Bank eine leere Flasche Schnaps. Seine Nase ist rot, rote Flecken auf seinen Händen, auf den Füßen, den Knöcheln. Max steht da und starrt den Jungen an, seine Gedanken sind laut, es sind so viele, plötzlich überall Erinnerungen, Bilder von Dennis, seine Großmutter, wie er ihn zum ersten Mal zum Graben mitnahm, wie er zuckte, wenn man ihm zu nahe kam, wie lange es dauerte, bis er ihm vertraute, bis er ihm glaubte, dass er es gut meinte mit ihm. Dennis.
Wie er sich nicht mehr rührt mitten am Dorfplatz. Max weiß nicht, was er tun soll, er muss Hilfe holen, sie müssen den Jungen aufwecken, ihn wach machen, ihn zurückholen, irgendwie, ihn aufwärmen, das darf nicht sein, nicht jetzt, nie. Er ist sechzehn Jahre alt und sagt nichts mehr, lacht nicht mehr, seine Zähne sind still, bleiben für immer in seinem Mund versteckt.
Alles verändert sich plötzlich, nichts mehr ist so wie noch vor wenigen Minuten, der Junge sitzt tot vor ihm, kalt. Es wird langsam hell, ohne Schuhe sitzt er auf der Bank, sein Oberkörper leicht schief, zur Seite geneigt, sein Mund offen, erfroren, wie ein Stück Fleisch in der Truhe, die weiße Haut, starr, ohne Leben.
Max rührt sich nicht. Egal, wie kalt es ist, wie sehr sein Körper danach schreit, bewegt zu werden, er rührt sich nicht. Dennis ist tot, er hätte auf ihn aufpassen müssen, er sollte doch für ihn da sein, achtgeben, dass er keinen Unsinn machte, er, weil es sonst keiner tat. Er muss Hilfe holen. Er läuft zur Bäckerei.
– Ja der Max. So früh heute?
– Da draußen. Ruf den Lusser, schnell.
– Was ist denn?
– Du sollst bei der Polizei anrufen, habe ich gesagt, es ist was passiert, da draußen, Dennis, bitte.
– Was?
– Er ist tot, verdammt, ruf die Polizei.
Max tritt von einem Bein auf das andere, er hüpft auf und ab, wärmt sich, schaut durch die Auslage hinaus. Die Verkäuferin telefoniert. Max fragt sie mit seinen Augen, ob er die Jacke, die an der Garderobe hängt, nehmen kann, sie nickt. Viel zu klein und pink, aber warm. Er geht wieder hinaus, die Verkäuferin legt den Hörer auf und presst ihr Gesicht ans Glas, ihr Mund steht offen.
Max steht vor Dennis und wartet. Er passt auf ihn auf, es darf ihm nichts passieren, er muss sich um ihn kümmern. In der pinken Jacke der Brotverkäuferin versucht er zu begreifen, was er sieht, dass Dennis sich nicht mehr bewegt, dass er einfach aufhört, da zu sein, wie all die anderen Toten. Max will ihn berühren, ihn angreifen, halten, ihm ins Gesicht schlagen, ihn schütteln, ihn wieder wach machen, aber er kann es nicht, wie gelähmt ist er, unfähig, etwas zu unternehmen, etwas zu tun, das es besser gemacht hätte. Warum sitzt er da? Warum hat er nichts an? Warum ist er tot? Immer wieder diese Frage, immer wieder der Gedanke, dass er sich zu wenig um ihn gekümmert hat, dass er es hätte wissen müssen, dass er ihn verdächtigt hat. Er ist wütend, traurig, ohnmächtig, er schämt sich.
Ein Auto kommt über den Dorfplatz, Blaulicht. Sie steigen aus, sehen Max, sehen Dennis. Auch sie sagen zuerst nichts, saugen nur das Bild in sich auf. Zwei Polizisten, Lusser und ein junger Kollege, der tote Junge auf der Bank, reglos, friedlich, wie schlafend. Kein Zweifel, keine kleine
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