Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schöne und der Tod (1)

Die Schöne und der Tod (1)

Titel: Die Schöne und der Tod (1) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Aichner
Vom Netzwerk:
Hoffnung, dass er noch lebt.
    Max schaut zu, was passiert. Emma liegt in seinem Bett, sie wartet auf ihn, sie wird aufwachen und ihn suchen mit ihren Fingern, er wird nicht da sein. Die Polizisten gehen um die Leiche herum, sperren ab, telefonieren. Max begreift nicht, was sie da tun, warum der Junge barfuß auf der Bank sitzt. Er wollte doch nur Brot holen, mit ihr frühstücken, schauen, was passieren würde an diesem neuen Tag, ihm eine Chance geben, dem kleinen Glück. Dann Dennis und diese Traurigkeit, die sich jetzt in ihm breit macht, dieses schwere Gefühl, das fast weh tut, das ihn nach unten zieht, das seine Beine lähmt, seine Füße fest in den Boden drückt. Ohnmacht, weil er nicht helfen kann, es nicht wiedergutmachen kann. Was er ihm noch alles sagen wollte. Wie er sich verabschiedet hat von ihm vor zwei Tagen. Wie er jetzt dasitzt. Die leere Flasche neben ihm. Die Polizisten, wie sie miteinander reden. Wie Max sie hört. Weit weg, dumpf, leise nur, Lusser.
    – Er ist erfroren.
    – Schaut so aus.
    – Ich ruf den Amtsarzt und den Bestatter.
    – Er hat keine Schuhe an. Warum hat der keine Schuhe an?
    – Weil er besoffen war. Da macht man komische Dinge, weißt du doch.
    – Im Winter? Bei minus zwanzig Grad?
    – Der Schnaps wärmt.
    – Siehst du irgendwelche Wunden?
    – Was für Wunden?
    – Fremdeinwirkung.
    – Der ist erfroren.
    – Könnte ja sein, wir sollten da sichergehen.
    – Wir sind sicher. Ich bin seit dreißig Jahren bei der Polizei, das ist eindeutig.
    – Wir sollten die Kripo rufen, Fremdeinwirken ausschließen, bevor wir ihn verräumen.
    – Ja wo denn, wie denn, blutet der irgendwo, hat er Wunden, schaut der irgendwie komisch aus? Nein.
    – Wir sollten trotzdem die Kripo anrufen.
    – Sollten wir nicht.
    – Warum nicht?
    – Weil hier schon genug los ist im Moment, weil das dann alles stundenlang dauern würde, weil das alles umsonst wäre. Am Ende schreibt der Arzt „Tod durch Unterkühlung“ auf den Zettel und wir sind auch halb erfroren. Es ist kalt, der Junge hat es übertrieben, da gibt es keinen Zweifel. Er hat seine Schuhe ausgezogen, seine Jacke, er war betrunken und hat nichts mehr gespürt, er ist erfroren und Ende. Wahrscheinlich ist er eingeschlafen und hat gar nichts gemerkt.
    – Armer Kerl.
    – Ist wohl das Beste so.
    Max hört es, den letzten Satz, lauter als die anderen. Er will ihm seine Nase brechen, mit der Faust in sein dummes Gesicht schlagen, er will ihn so lange treten, bis er still ist, bis er nichts mehr sagt, nichts mehr über den Jungen. Er will auf ihn springen, ihn zu Boden drücken, ihm weh tun. Bis Dennis wieder aufwacht, ihn anlacht. Mit ihm nach Hause geht. Doch Max tut nichts. Gar nichts.
    Wie er sich einfach umdreht und weggeht über den Dorfplatz. Er macht die Augen zu, geht ohne etwas zu sehen über den Schnee. Er zieht die pinke Jacke aus und lässt sie auf den Boden fallen, lässt sie einfach liegen. Er will zurück zu Emma, sich in ihr verkriechen, sich verstecken unter ihrer Haut im Dunkeln, sich von ihr halten lassen. Er will alles vergessen, was er gesehen hat. Er geht schnell. Trotzdem kommt er zu spät.

Dreizehn
    Er schlägt die Tür hinter sich zu, stürzt die Treppe nach oben, schreit ihren Namen. Er hebt die Decke hoch, zieht sie weg, wirft sie auf den Boden, geht ins Bad, in die Küche, auf die Terrasse, er läuft wieder zurück ins Schlafzimmer, auf die Toilette, immer wieder ihr Name aus seinem Mund. Doch da ist nur ein Zettel von ihr, nichts sonst, keine Haut, keine tröstenden Worte, keine Hilfe, kein Halt, nichts.
    Ich will nicht mehr länger auf dich warten, steht da. Sonst nichts.
    Ein Satz, nicht mehr von ihr, ihre Tasche ist weg, ihre Sachen, auch im Bad nichts mehr, nur der Zettel in seiner Hand, mit dem er durch die Wohnung rennt wie ein Tier, orientierungslos. Über die Stiege hinunter, seine Finger auf Tildas Klingel, seine Faust auf ihrer Tür. Wie er auf sie eintrommelt und nicht damit aufhört. Weil sie nicht mehr da ist, weil er tot auf dieser Bank sitzt.
    Tildas Tür bleibt zu. Emma kommt nicht zurück. Dennis kommt in einen Sarg. Emma geht nach London, sie wird heiraten, und Dennis wird verfaulen. Er wollte doch nur Brot holen, Frühstück für sie machen.
    Max setzt sich auf die Treppe. Baroni musste mit der Morgenmaschine nach München, er wird erst am Abend wieder zurückkommen. Tilda ist nicht da. Er bleibt einfach sitzen auf der untersten Stufe. Er friert, bewegt sich nicht von der Stelle, er kann

Weitere Kostenlose Bücher