Die Schöne vom Nil
»Ich werde nur noch mit diesem Messer meine Äpfel schneiden«, sagte er heiser und ein wenig gerührt. »Und mir jedesmal dabei wünschen, Sie wiederzusehen, Leila …«
Er drehte sich rasch um und ging in seinen Park zurück.
Leila setzte sich in das Taxi und zog die Tür zu. »Nach Sakkara!« sagte sie.
»Wohin?« Der Fahrer sah sie ungläubig an.
»Nach Sakkara, der Totenstadt!« wiederholte Leila hell. »Und fliegen Sie! Fliegen Sie! Kein Polizist wird Ihnen etwas tun! Der Polizeipräsident persönlich wird Sie loben, weil Sie so schnell gefahren sind!«
»Na denn …« Der Taxifahrer, ein dunkelhäutiger Südägypter, trat auf das Gaspedal. »Fliegen wir …«
Mit heulenden Reifen raste er die Straße entlang und bog bald in die breite Sharia al Giza ein, die große Straße in das weite Land am Nil.
Der Weg war mühsam, die Luft wurde immer stickiger – aber Frank Herburg wunderte sich, daß überhaupt soviel Luft in diesem Grab war. Daß die Wandmalereien, die man in anderen Gräbern und auch hier gefunden hatte, so gut erhalten waren, war ja nur dem völligen Luftabschluß zu verdanken!
Hier aber war es, als fließe durch unsichtbare Kanäle immer wieder Luft in die Tiefe der Erde, nicht viel, aber gut dosiert, eine kaum spürbare Zirkulation: ein klimatisiertes Grab, 5.000 Jahre alt!
Die Wände an den Gängen, die sie jetzt durchschritten, waren kahl. Keine Malerei, keine Mumiennischen, keine Ibisse oder Paviane, auch keine Götterhinweise … nur nackter Fels war zu sehen, in mühsamer Tag- und Nachtarbeit von Sklaven aufgehauen, bis Gänge, Kammern, Treppen und Fallen entstanden … drei Etagen übereinander!
Ein Wunderwerk des genialen Baumeisters, Arztes und Politikers Imhotep, das er für seinen kleinen Pharao Menesptah geschaffen hatte.
Herburg und Luisa liefen durch diesen Irrgarten, so schnell es ihnen möglich war. Sie wußten: Wir laufen gegen die Zeit an, nicht allein wegen des Sauerstoffes, sondern auch wegen des Gases. Wenn die Lampen ausgebrannt waren, gab es keine Bewegung mehr. Dann war vollkommene Dunkelheit um sie, und sie konnten sich dann eigentlich nur noch in eine Nische setzen und auf den Tod warten.
Herburg hatte jetzt nur eine Lampe brennen, und auch diese war so weit heruntergedreht, daß der Schein gerade ausreichte, um zu sehen, wohin man trat. Einige Male mußten sie umkehren … die Gänge endeten gegen einen Fels. Wenn sie dann zurückliefen, orientierten sie sich bei der Vielzahl der Querstollen nur an den dünnen roten Strichen, die Luisa mit ihrem Lippenstift an die Wände malte.
Auch das war eine Kavaliersgeste von Suliman gewesen: Lippenstift, Make-up und ein Fläschchen Rosenparfüm hatte er Luisa gelassen. Voller Hohn hatte er dabei gesagt: »Ich nehme an, daß Sie gern in Würde und Schönheit sterben möchten. Sie sollen sogar noch einen Spiegel dafür bekommen …«
Ab und zu blieben die beiden stehen und lauschten.
Im Grab war es nicht still – es war vielmehr, als ob die Erde lebte. Ganz schwache Geräusche durchzogen den Boden und die Felswände. Ein Schaben und Scharren, ab und zu ein Zittern. Dann blickten sie sich wortlos an und umarmten sich.
»Die Erde atmet«, sagte Luisa einmal. »Das hat mir mal ein bekannter Geologe gesagt. Ich habe ihn damals ausgelacht. Aber es stimmt … ich höre es jetzt.«
»Sie arbeiten!«
Frank legte das Ohr gegen die Felswand des Ganges. Das Schaben war jetzt wieder ganz deutlich zu hören.
»Sie graben an verschiedenen Stellen! Mit Baggern und Raupen, nehme ich an. Denn das sind keine natürlichen Erderschütterungen, Luisa!«
»Mein Gott, wenn das wahr wäre …« Sie grub die Finger in seine Schultern. »Wenn wir weiterleben dürften …«
»Ich hoffe, solange ich denken kann!«
Frank wandte sich wieder um, küßte sie auf die Stirn und sagte: »Vorwärts, Luisa! Noch haben wir Licht und Luft!«
Nach seiner Armbanduhr irrten sie jetzt drei Stunden durch die Grabanlage. Plötzlich standen sie vor einer Treppe, die nach oben führte. Links und rechts der Stufen standen in den Mauernischen wieder die großen Gefäße mit den Pavianmumien.
Und dort, wo die Treppe in eine Art von Diele mündete – Herburg hatte die Lampe auf volle Stärke gedreht und leuchtete die Treppe hinauf –, war in die Stirnseite des Felsens ein großer Frosch gehauen worden. Goldfunkelnd schien er den beiden Eindringlingen entgegenspringen zu wollen …
»Der goldene Frosch des Menesptah …«, sagte Herburg schwer atmend.
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