Die Schöne vom Nil
»Luisa, wir sind auf dem richtigen Weg! Wir kommen aus dem Labyrinth wieder in den eigentlichen Grabbezirk.«
Er musterte die Treppe mißtrauisch und dachte an seinen Absturz. Was ihn stutzig machte: Hier stand kein warnender Wächter, der mit erhobener Hand jeden Eindringling zurückhielt. Die Treppe war völlig kahl – bis auf die Pavianmumien.
»Du mußt notfalls den Schminkkoffer opfern«, sagte Herburg. »Ich brauche ihn zum Vortasten.«
»Ich nehme die Flaschen vorher heraus.«
Er nickte, beugte sich vor und klopfte mit der Faust die ersten drei Stufen ab.
Luisa stellte die kostbaren Wasservorräte an eine Wand und reichte dann den Koffer Salimahs an Frank weiter. »Soll ich auch noch eine Flasche Whisky herausnehmen?«
»Nein.«
Dann kniete er auf der untersten Stufe und knallte den Koffer auf die vierte. Als sie hielt, auf die fünfte … Auch die sechste Stufe war noch massiv, aber die siebte Treppenstufe brach unter dem Gewicht des Koffers zusammen.
»Es hätte mich auch sehr gewundert«, sagte Frank Herburg laut und zufrieden. Er zog den Koffer aus dem Loch und kroch die Treppe hinauf bis zu der tückischen Stufe. »Du hättest mich sehr enttäuscht, Imhotep! So ganz ohne Falle zu deinem kleinen Pharao … das hätte nicht zu dir gepaßt!«
Er warf nun den Koffer auf die achte Stufe und stellte fest, daß die wieder massiv war. Jetzt, wo er genauer hinsah, konnte er auch einen Unterschied in den Maßen der Stufen feststellen. Die siebte Stufe war ein wenig breiter … genauso breit, daß ein Mensch bequem durchfallen konnte.
Frank setzte sich auf die sechste Stufe und schraubte die Lampe wieder herunter.
»Das Grab ist in der zweiten Etage«, dozierte er. »Imhotep mochte noch so klug und raffiniert sein … Er war ein Sohn seiner Zeit und als solcher an eine Harmonie von Zahlen und geometrischen Formen gebunden. Denken wir einmal wie er. Von oben führt eine Treppe mit den Königszeichen nach unten, von unten führt eine Treppe mit dem goldenen Frosch nach oben! In der Mitte treffen sie zusammen, das ist der allerheiligste Bezirk. Und hier ist der tote Pharao der Mittelpunkt – auch im Totenreich. Das ist Logik!«
Herburg blickte die Stufen hinauf zu dem an der Stirnwand golden glitzernden Frosch. Er zählte: noch zwölf Stufen.
»Wenn wir diese Treppe hinter uns haben, Luisa, und noch leben, dann beginnt die eigentliche Totenwelt – voller Gefahren!«
»Die Gifte«, sagte Luisa gepreßt. »Kontaktgifte an den Wandgemälden, Nervengifte und geruchloses Gas.«
»Dann müßten wir jetzt schon tot sein!«
Er bückte sich über die eingebrochene Stufe und rutschte auf die übernächste hoch. Luisa blieb noch jenseits der tödlichen Falle. Zwischen ihnen hing schlaff das Seil aus der zerschnittenen Wäsche.
»Im Grab ist Sauerstoff. Das wissen wir jetzt. Und die Gifte wirken sofort bei Einwirkung von Sauerstoff. Im luftdichten Raum sind sie ungefährlich …«
»Ja, das stimmt, Frank.« Sie starrte Herburg an. »Frank, wenn hier Luft ist, überall Luft … dann heißt das …«
»Daß unser kleiner König längst entdeckt worden ist, von einer anderen Seite aus, als wir gegraben haben, und daß der Giftschutz längst gewirkt hat und nun verflogen ist. Unser Eingang war noch unberührt … aber aus einer anderen Richtung wurde anscheinend das Grab durchlüftet …«
»Suliman?«
»Vielleicht. Wir werden sehen.«
Herburg tastete mit dem Koffer die nächsten Stufen ab, aber da sie alle die gleiche Breite hatten, mußten sie auch alle massiv sein. Aber sicher war das nicht … bei Imhotep konnte man immer mit Überraschungen rechnen.
Langsam kroch Herburg die Treppe vollends hinauf.
Auf der letzten Stufe drehte er die Lampe wieder heller und leuchtete in den Raum hinein, der sich vor ihm öffnete.
»Phantastisch!« rief Herburg, und seine Stimme klang irgendwie ergriffen.
»Was siehst du?« rief Luisa von unten.
»Bring die Flaschen mit und komm herauf! Den Koffer habe ich schon mit. Ein kleiner Saal voller Wandgemälde«, schilderte Herburg begeistert, während er den Raum ausleuchtete, »und an den Wänden reihenweise Schalen und Näpfe aus Alabaster, Dolerit, Serpentin, Aragonit, grünem Schiefer und sogar rotem Breschia aus Assiut! Die erste Vorratskammer des Grabes ist gefunden! Mein Gott, ist das schön! Komm herauf, Luisa, das mußt du sehen! Imhotep muß den Kleinen wie ein Vater geliebt haben. Die Hälfte der Wandgemälde besteht aus nackten, wunderhübschen Mädchen. Wenn
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