Die schoenen Hyaenen
geduldeter Gast einer verbitterten alten Frau. Im Winter wurde es eisig kalt, draußen wie drinnen. Mary Jane hatte die Kälte damals ebenso gehaßt wie jetzt.
Am Herald Square fiel ihr auf, daß die Weihnachtsdekorationen bei Macys noch glitzerten. Im Januar! Mary Jane hatte die Feiertage überstanden, doch sie wünschte sich, Weihnachten wäre nie erfunden worden. Die Menschen, die das Kaufhaus verließen, schienen ihre Ansicht zu teilen. Alle hassen es, dachte sie. Nur sagt es niemand und keiner wagt, von dem Zug abzuspringen, nachdem er einmal ins Rollen gekommen ist. Seufzend gestand sie sich ein, daß auch sie nicht abgesprungen war. Sie erinnerte sich an den Anruf ihrer Großmutter.
»Ich bin krank, Mary. Wahrscheinlich habe ich die Grippe, ich kann mein Bett kaum verlassen. Ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht sein müßte, Mary.« Grandma nannte sie immer nur dann bei ihrem Namen, wenn sie etwas wollte. »Kannst du nicht einige Tage herkommen und mich versorgen?« Immerhin bist du Krankenschwester. Das sprach Grandma nicht aus, doch Mary Jane hörte es dennoch heraus. Obwohl sie nichts lieber getan hätte, als den Hörer einfach auf die Gabel zu knallen und unterzutauchen, konnte Mary Jane sich nicht von ihren Schuldgefühlen der alten Frau gegenüber befreien.
Also fuhr sie am 24. Dezember im Bus zu dem Menschen, mit dem sie am wenigsten zusammensein wollte. Weihnachten in New York würde schon trostlos genug werden, da Sam zu seinen Eltern nach Sarasota sein würde. Doch wieder in diese Bruchbude außerhalb von Elmira zu fahren und sich um die alte Frau kümmern zu müssen, kam einem Alptraum gleich. Irgendwie verletzte es Mary Jane nun noch mehr, daß Sam sie nicht eingeladen hatte, mit ihm zu seinen Eltern zu fliegen. Schämte er sich seiner Freundin?
Sam hatte sehr jung geheiratet. Seine Frau hatte ihn verlassen. Darum haßte er die Ehe, behauptete er. An sich störte das Mary Jane nicht. Sie hatte Sam, wozu brauchte sie noch einen Ring? Doch wenn sie verheiratet gewesen wären, hätte er sie sicher nach Florida mitgenommen. Die schlimmsten Schwiegereltern waren allemal besser als Grandma, glaubte Mary Jane.
Es wurde ein scheußliches Weihnachten. Grandma zeigte keine Spur von Dankbarkeit. Das war bei ihr nicht drin. Sie schwankte zwischen stumpfer Gleichgültigkeit und Keiferei. »Du hast zugenommen. Sieh mich an. Nur Haut und Knochen. Aber du warst ja schon immer dick. Hast dich an meinem Essen, auf Kosten meiner Pension, meiner Sozialhilfe und meiner Essensmarken vollgefressen. Fett und eingebildet. Hältst dich für was Besseres. Scuderstown ist dir ja nicht gut genug. Krankenpflege auch nicht. Hättest eine einfache Helferin im Krankenhaus sein können. Aber nein, du mußtest es ja zur examinierten Krankenschwester bringen. Und nun übst du den Beruf nicht mal aus. Miss Schauspielerin! Hast du etwa in letzter Zeit eine Rolle abgekriegt? Hab jedenfalls nichts von dir im Fernsehen oder sonst wo mitbekommen. Was ist denn mit dem Stück, in dem du gespielt hast?«
In dem Stil ging es endlos nervtötend weiter. Es hörte erst auf, wenn die Großmutter abends durch genügend Bourbon zum Schweigen gebracht worden war.
Ich muß dankbar sein, daß ich gesund bin, sagte sich Mary Jane, wenn sie sich am Ende ihrer Kraft fühlte. Ich muß auch dankbar sein, daß ich nicht gerade dumm bin. Das verschafft mir gewisse Vorteile.
In der Schule hatte Mary Jane allerdings niemanden beeindruckt. Inmitten der allseits beliebten Jungen und Mädchen blieb Mary Jane ein unscheinbarer, unbeachteter Trampel. Ein reizloses Mädchen mit großer Nase, buschigen Augenbrauen, festem, schnittlauchgeradem Haar und dünnen Lippen. Schon damals wußte sie, daß sie es im Leben nicht leicht haben und daß ihr niemand helfen würde.
Sie mußte alles selbst tun. Kein Freund, der half, bestimmt nicht Grandma.
Also hatte sie den Kampf allein aufgenommen. Krankenpflegeschule mit Stipendium. Schauspielunterricht. Abklappern von Agenten, Vorsprechen, Aushilfsjobs, Statistenrollen, Absagen. Es hatte Jahre gedauert, bis Mary Jane endlich zeigen konnte, was in ihr steckte. Sie landete einen Hit, wurde anerkannt, gehörte auf einmal dazu und. erhielt Geld für die Tätigkeit, die sie von ganzem Herzen liebte. Außerdem wurde sie von einem Mann geliebt, der nicht nur gut aussah, sondern auch sonst einfach genial war. Und das alles schien Mary Jane zu entgleiten.
Der Wind fegte eisig über den Broadway. Mary Jane
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