Die schoenen Muetter anderer Toechter
ihr Anblick in mein Herz. Lenas Bild schob sich dazwischen, wie sie mit ihrem Saxophon direkt vor mir gestanden und dem Instrument die verwirrendsten Töne entlockt hatte. Lena, das Saxophon, mit harten Akzenten, ekstatisch, laut und lockend, blitzendes Metall. Angela hier vor mir, das Cello in warmem Holz, an dem die Hand entlanggleitet wie an einer Welle. So unglaublich, dass ich es immerzu wiederholen möchte, jede Berührung eine Bestätigung des Wunders, jeder Zentimeter Haut ein weiteres Rätsel. Ihre Musik ein sinnlich leises Schwärmen, ein Hauch nur von der Ahnung, zu welcher Kraft Bogen und Saiten fähig sind.
Ich stand so lange in der Tür und betrachtete sie, bis mir selbst in der milden Sommernacht kalt wurde. Also schlüpfte ich unter die Decke.
Meine Haut an ihrer Haut. Da war plötzlich ein neues Bedürfnis. Es hatte nichts mit Sex zu tun, sondern mit der Sehnsucht, eng aneinandergeschmiegt zu schlafen – als könnten wir einander in unsere Träume begleiten.
Ich wachte auf.
Das Zimmer lag im blauen Licht der Nacht. Angela schlich im Zimmer umher und sammelte vorsichtig ihre Kleidungsstücke auf, die auf dem Boden lagen. Sie zog sich geräuschlos an. Auf der Kommode an der Wand lag eine Bürste, und sie gönnte ihren zerzausten Haaren ein paar Striche. Dabei betrachtete sie sich im Spiegel und beugte sich plötzlich vor, um sich lange und prüfend in die Augen zu schauen.
Sah sie Lena in ihren Zügen? Waren die Fragen nach Lenas Reaktion auf das, was mit uns geschehen war, übermächtig geworden? Wuchsen die Zweifel über ihr zaghaft sich entdeckendes Glück hinaus?
»Du musst wohl wirklich gehen, oder?«, sprach ich sie leise vom Bett her an.
Sie fuhr ertappt herum. Ihre Augen lagen in dunklen Schatten, und alle Nähe war aus ihnen gewichen. Ich robbte zum Bettrand und griff hinunter, in die dunkle Höhle unter der Matratze.
»Ich habe hier noch etwas liegen, was ich dir gerne mitgeben würde. Frederikes erstes Buch, du weißt schon. Möchtest du es lesen?«
»Tja, meinst du, ich sollte mich jetzt dringend ein wenig kundig machen?« Sie lächelte etwas verbissen und schloss mit einem energischen Ruck den Reißverschluss an ihrem Kleid. Ihre nackten Schultern entschwanden damit meinen Blicken. Doch dass sie so fern war, hatte nichts damit zu tun, dass ich noch nackt und sie wieder angezogen war. Ich war nicht verwundert über diese plötzliche Distanz zwischen uns. Fast hatte ich damit gerechnet. Und ich mochte sie dafür noch mehr. Sie war keine Frau, die über solch schwerwiegende Probleme wie die mit ihrer Tochter einfach hinweggehen würde.
Ich wog das Taschenbuch in meinen Händen.
»Es ist keine Gebrauchsanweisung«, schränkte ich ein. »Nicht dass du auf den Gedanken kommst, ich gebe es dir, damit du weißt, wie du dich zu verhalten hast als …«
»Als?«
Ich öffnete den Mund, bekam das Wort aber nicht heraus. Das war mir seit meiner Coming-out-Zeit vor zehn Jahren nicht mehr passiert.
»Lesbe?«, schlug Angela vor und wurde vor Schreck blass.
»Ehm«, machte ich.
Angela setzte sich zu mir, nahm mir das Buch aus der Hand und blätterte darin. Sie las einige Stellen, schüttelte den Kopf, blätterte weiter. Schließlich legte sie das Buch neben sich auf das Bett.
»Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht«, sagte sie zu sich selbst. »Nie hätte ich gedacht, dass ich … ich!« Dann sah sie mich traurig an, und ihr Blick schnitt mich an Stellen, von denen ich nie geahnt hatte, dort verletzbar zu sein. »Ich werde es lesen. Wenn du mir versprichst, dass du es persönlich wieder bei mir abholst.«
» Das kann ich dir versprechen«, sagte ich. Dann nahm sie ihre kleine schwarze Tasche und ging.
Z WÖLFTES K APITEL
Ich seh die Hand vor
lauter Augen nicht
I ch verbrachte den Sonntag in einem Trancezustand. Immer wieder lag ich auf dem Bett und atmete in die Kissen, um mir durch ihren Geruch vorzugaukeln, Angela sei noch hier, dicht neben mir. Ich hörte ihre Stimme in meinen Räumen, sah ihren Schatten an den Wänden. Sie hatte ganz und gar Einzug gehalten. Meine Türen standen ihr weit offen.
Abends wollte ich sie anrufen, aber ich wagte es lange Zeit nicht. Also saß ich auf meiner Alm und war allein mit mir. Warum auch nicht? Ich war dort immer allein gewesen. Ich hatte nie Gesellschaft vermisst.
Um kurz vor neun wählte ich die Nummer.
Es tutete ein paarmal.
»Lena Rose?«, erklang es dann hell aus dem Hörer.
Ich brachte vor Schreck kein Wort heraus. Nicht eine
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