Die schoenen Muetter anderer Toechter
gewinnen
I ch saß an der Haltestelle zur Bahn Nummer 306. Gerade hatte mich der Arzt, unter Aufzählung guter Ratschläge für weitere Sprünge über Blumenkästen, von der lästigen Bandage befreit. Und nun wippte ich mit dem Fuß vor und zurück, testete, ob tatsächlich noch alles funktionierte.
Der vergangene Abend ging mir nicht aus dem Kopf.
Angela (wie seltsam ungewohnt diese vertraute Form der Anrede in meinem Kopf noch klang) hatte einen so merkwürdigen Eindruck auf mich gemacht. Nicht nur Lena befand sich mit ihren Plänen für die erste eigene Wohnung auf einem neuen Weg. Auch Angela war unterwegs zu unbekannten Gefilden, das spürte ich ganz deutlich. Mehr konnte ich darüber aber nicht denken.
Es verwirrte mich, wenn ich an ihre grünen Augen dachte, die mich so forschend betrachteten.
Nun hatte ich bereits durch sonderbare Zufälle zwei Abende mit ihr verbracht, die in all ihrer Ungewöhnlichkeit auch sehr schön und interessant waren.
Es war schon sonderbar. Zuerst hatte es mich irritiert, ja geradezu gestört, dass ich auf meinem Weg zu Lena ihrer Mutter begegnete. Denn als erwachsene Frau wusste ich nicht mehr mit Müttern umzugehen, die mich als eine Art Spielgefährtin ihrer kleinen Tochter zu betrachten schienen. Doch inzwischen wäre es mir fast lieber, wenn ich in Angela nur Lenas Mutter sehen würde. Sie wäre Frau Rose, die mir hin und wieder die Tür öffnen und mich mit jenem argwöhnischen Blick mustern würde, der mir bei unserer ersten Begegnung zuteil geworden war. Frau Rose, von der ich nicht viel mehr wusste als ihren baldigen Scheidungstermin und gerade mal die Berufsbezeichnung. Ich würde Frau Rose nur aus Lenas Sicht kennen, ihre Macken erfahren und dennoch aus Lenas Worten herausfiltern können, dass die beiden sich im Grunde liebten – wie Mutter und Tochter eben.
Aber genau das ging nun nicht mehr. Frau Rose war restlos verschwunden, ich hatte Angela kennengelernt. Und dadurch hatte sich einiges geändert. Ich sah in ihr längst nicht mehr die reifere Ausgabe von Lena. Was ich stattdessen in ihr erkannte, konnte ich aber auch nicht definieren. Das Ganze war mir ein wenig unheimlich.
»Liegt an den Sternzeichen«, hatte Jackie mir heute Morgen in ihrer Frühstückspause per Telefon mitgeteilt. Sie kannte sich natürlich mit Astrologie ebenso gut aus wie mit spirituellen, zukunftsweisenden Träumen. »Lena ist nun mal Skorpion. Uh, Vorsicht! Aber das weißt du ja. Hab ich dir oft genug gesagt. Finger weg von Skorpionen, Michelin, die sind für dich als Wasserfrau-Krebs-Typ geradezu Gift. Angela dagegen als Schütze-Zeichen, das sieht schon anders aus. Wasserfrauen und Schütze-Frauen ergänzen sich ganz automatisch, weil sie in ihrem Streben nach Selbstfindung und allgemeiner Gerechtigkeit sehr ähnlich sind. Schade, dass du ihren Aszendenten nicht kennst. Mit einer Waage-Frau Aszendent Löwe würden dir Welten offen stehen. Ihr könntet zum Beispiel …«
»Jackie?«, war ich ihr ins Wort gefallen. »Denkst du bitte dran, dass du da von der Mutter meiner zukünftigen Freundin sprichst?« Was Jackie sagte, beunruhigte mich – auch wenn ich das vor mir selbst nicht eingestehen wollte.
Und nun saß ich hier an der Haltestelle und dachte immer noch über Jackies Theorien zu Sternzeichen nach.
Ellen war Zwilling und hatte deswegen auch gut zu mir gepasst, hatte Jackie gemeint. Aber auch das perfekte Horoskop hatte nicht helfen können, wenn die eine sich eingeengt fühlte, während die andere auf der Suche nach der großen Verschmelzung auf der Strecke blieb.
Verschmelzen wollte ich inzwischen gar nicht mehr. Ich hatte wirklich genug vom Harmoniestreben. Ich sehnte mich nach einer Frau, die meine Alm kannte wie ihre eigene Westentasche, mit der ich mich den Herausforderungen des Lebens gemeinsam entgegenwerfen konnte, die dabei meine Nähe nicht nur leidlich ertrug, sondern sie mit aller Macht wollte …
Neben mir hupte ein Auto.
Ich wandte langsam den Blick. Ich war einfach zu neugierig, um nicht hinzuschauen. Auch, wenn ich Gefahr lief, gleich mehreren postpubertären Knaben ins Gesicht zu blicken, die fett hinter ihrem frischen Abi-Aufkleber weggrinsten. Aber statt potenzprotzender Jünglinge hing dort Lena hinter der Windschutzscheibe und machte mir hektisch Zeichen.
Wer glaubt eigentlich an Zufälle? Ich sprang auf und lief zu dem kleinen weißen Auto hinüber, das mit laufendem Motor mitten auf den Schienen hielt. Lena öffnete mir die Beifahrertür, und ich
Weitere Kostenlose Bücher