Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
Augen verwandelt. Ich hatte an nichts mehr Freude, vertiefte mich in mich selbst und begann zu grübeln. Anfangs war mir alles zuwider. Ich hörte sogar auf zu trinken, zu fressen und mich draußen zu tummeln; an ein Umhertollen dachte ich überhaupt nicht mehr. Manchmal hatte ich wohl eine Anwandlung, mit den Hinterbeinen auszuschlagen, loszugaloppieren und zu wiehern; doch dann erhob sich sogleich die schreckliche Frage: Warum? Wozu? Und meine letzte Kraft versiegte.
Als man mich eines Abends ins Freie führte, wurde gerade die Herde von der Weide nach Hause getrieben. Schon von weitem sah ich eine Staubwolke, in der sich undeutlich all die mir wohlbekannten Gestalten unserer Mutterstuten abzeichneten. Ich hörte ihr fröhliches Wiehern und Getrappel. Obwohl mir die Halfterleine, an der mich der Stallknecht zog, in den Nacken schnitt, blieb ich stehen und blickte so wehmütig auf die näher kommende Herde, wie man auf ein für immer verlorenes, nie wiederkehrendes Glück zurückblickt. Als sie sich näherten, erkannte ich jedes einzelne der mir so vertrauten majestätischen, schönen, gesunden und wohlgenährten Pferde. Das eine oder andere von ihnen blickte sich auch zu mir um. Den Schmerz, den der Stallknecht durch das Zerren am Halfter verursachte, spürte ich gar nicht. Ich vergaß mich und begann in Erinnerung an frühere Zeiten spontan zu wiehern und in Trab überzugehen. Aber mein Wiehern klang jämmerlich, komisch und albern. In der Herde machte sich niemand darüber lustig, doch bemerkte ich, dass sich viele Pferde aus Schicklichkeit von mir abwandten. Ich machte offenbar einen abstoßenden, bejammernswerten und vor allem peinlichen und lächerlichen Eindruck auf sie. Mein dünner, unscheinbarer Hals, der große Kopf – ich war inzwischen sehr abgemagert –, die langen stelzigen Beine und die dumme Art, in der ich aus alter Gewohnheit um den Stallknecht herumzuspringen begann – alles kam ihnen lächerlich vor. Niemand erwiderte mein Wiehern, alle wandten sich von mir ab. Da wurde mir auf einmal klar, wie weit ich ihnen allen für immer entrückt war, und ich weiß überhaupt nicht, wie ich damals mit dem Stallknecht nach Hause gekommen bin.
Wenn ich auch schon früher eine Neigung zu Ernsthaftigkeit und Tiefsinn offenbart hatte, so kam diese jetzt endgültig zum Durchbruch. Meine Scheckigkeit, die den Menschen einen so sonderbaren Abscheu einflößte, das seltsame Unglück, das mich so jählings betroffen hatte, und zu alledem meine besondere Stellung im Gestüt, die ich wohl fühlte, mir aber noch auf keine Weise erklären konnte – alles dies führte dazu, dass ich mich ganz in mich selbst zurückzog. Ich zergrübelte mir den Kopf über die Ungerechtigkeit der Menschen, die es mir zur Last legten, dass ich scheckig war, sann über die Unbeständigkeit der mütterlichen und der weiblichen Liebe allgemein und ihre Abhängigkeit von physischen Umständen nach und vertiefte mich vor allem in Gedanken über die Eigenschaften jener seltsamen Gattung von Geschöpfen, mit denen wir so eng verbunden sind und die wir Menschen nennen – über die Eigenschaften, durch die sie mich im Gestüt in jene besondere Lage versetzt hatten, die ich zwar fühlte, aber nicht begreifen konnte. Die Bedeutung dieser Lage und die Art der menschlichen Eigenschaften, auf denen sie beruhte, offenbarten sich mir bei folgender Gelegenheit.
Es war im Winter um die Weihnachtszeit. Ich hatte den ganzen Tag über kein Futter und keinen Trank bekommen. Wie ich nachträglich erfuhr, lag es daran, dass der Stallknecht betrunken war. An jenem Tage nun kam der Stallmeister zu mir, und als er sah, dass ich nichts zu fressen hatte, machte er seinem Ärger in einer wüsten Schimpferei über den abwesenden Stallknecht Luft und ging dann wieder hinaus. Am folgenden Tage kam der Stallknecht mit einem seiner Kameraden zu uns in die Box, um Heu hineinzuschütten, und ich bemerkte, dass er ungewöhnlich blass und bedrückt war; besonders die Haltung seines langen Rückens machte einen irgendwie auffälligen und mitleiderregenden Eindruck. Er warf das Heu wütend in die Krippe, und als ich dabei meinen Kopf über seine Schulter vorstrecken wollte, versetzte er mir einen so empfindlichen Faustschlag auf die Schnauze, dass ich zurücksprang. Auch stieß er mir dann noch mit dem Stiefel gegen den Bauch.
›Wenn dieses grindige Biest nicht wäre‹, sagte er, ›dann wäre alles gutgegangen.‹
›Was ist denn geschehen?‹, fragte der andere
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