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Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)

Titel: Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Stallknecht.
    ›Die gräflichen Pferde, um die kümmert er sich überhaupt nicht, aber zu seinem eigenen Fohlen, da guckt er zweimal am Tage herein.‹
    ›Hat man ihm denn den Schecken verkauft?‹, fragte der andere.
    ›Verkauft oder geschenkt, das weiß der Kuckuck. Die gräflichen Pferde, die könnten allesamt verhungern – das schert ihn wenig; aber wehe, wenn man sich untersteht, mal sein eigenes Fohlen ohne Futter zu lassen! Leg dich hin!‹, rief er, und dann schlug er auf mich los. ›Ist so was denn Christenart? Schlimmer als ein Stück Vieh hat er mich gepeitscht und dabei noch die Hiebe gezählt, dieser Barbar – er trägt wohl kein Kreuz auf der Brust. Vom General habe ich noch nie solche Schläge gekriegt, aber dieser hat mir den ganzen Rücken zerfetzt, er muss wohl keine Christenseele im Leibe haben.‹
    Das, was sie vom Durchpeitschen und vom Christentum sagten, verstand ich gut, völlig unklar aber war mir damals, was die Worte vom
eigenen
Fohlen bedeuteten, aus denen ich ersah, dass mich die Menschen in irgendeine Verbindung zu dem Stallmeister brachten. Worin diese Verbindung bestehen sollte, konnte ich damals ganz und gar nicht begreifen. Erst viel später, als man mich von den übrigen Pferden trennte, wurde mir klar, was damit gemeint war. Zunächst jedoch war es mir ganz unverständlich, was es zu bedeuten hatte, dass man mich als das Eigentum eines Menschen bezeichnete. Die Wörter
mein Pferd,
auf mich, ein lebendes Pferd, bezogen, kamen mir ebenso absonderlich vor wie die Wörter: mein Land, meine Luft, mein Wasser.
    Immerhin übten diese Wörter einen gewaltigen Einfluss auf mich aus. Ich dachte unablässig über sie nach, und erst viel später, nachdem ich zu den Menschen in die verschiedenartigsten Beziehungen getreten war, begriff ich schließlich, welche Bedeutung sie diesen seltsamen Wörtern beimessen. Sie bedeuten, dass sich die Menschen im Leben nicht von Taten, sondern von Worten leiten lassen. Es kommt ihnen weniger auf die Möglichkeit an, etwas zu tun oder nicht zu tun, als vielmehr auf die Möglichkeit, über verschiedene Dinge in Wörtern zu sprechen, die sie miteinander verabredet haben. Solche Wörter, die bei ihnen eine große Wichtigkeit erlangt haben, sind zum Beispiel: mein, meine, meins; diese Wörter wenden sie auf alle möglichen Dinge, Geschöpfe und Gegenstände an, selbst auf Land, auf andere Menschen und auf Pferde. Sie haben untereinander vereinbart, dass von einem bestimmten Gegenstand immer nur einer von ihnen sagen darf, er sei
sein.
Und derjenige, der nach diesem zwischen ihnen vereinbarten Spiel die meisten Gegenstände
sein
nennen kann, den betrachten sie als den glücklichsten. Warum sie das so eingerichtet haben, weiß ich nicht; aber es ist so. Zuerst nahm ich an, dass damit irgendein bestimmter Vorteil verbunden sein müsse, und habe mich lange bemüht, diesen herauszufinden; aber meine Annahme erwies sich als unzutreffend.
    Viele von den Menschen zum Beispiel, die mich ihr Pferd genannt haben, sind gar nicht auf mir geritten, sondern es waren ganz andere, die auf mir geritten sind. Auch gefüttert wurde ich nicht von ihnen, sondern von ganz anderen. Und ebenso haben mir nicht diejenigen Gutes erwiesen, die mich als ihr Pferd bezeichneten, nein, das taten Kutscher, Kurschmiede und überhaupt fremde Menschen. Späterhin, nachdem ich den Kreis meiner Beobachtungen erweitert hatte, bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass der Begriff
mein
nicht nur in Bezug auf uns Pferde, sondern ganz allgemein auf nichts anderem beruht als auf einem niederen, tierischen Instinkt der Menschen, den diese Eigentumssinn oder Recht auf Eigentum nennen. Mancher Mensch spricht von seinem Haus, wohnt aber gar nicht darin, sondern hat es nur erbauen lassen und sorgt für seine Instandhaltung. Der Kaufmann spricht von seinem Laden. ›Mein Manufakturwarenladen‹, sagt zum Beispiel einer, aber seine Kleider sind nicht aus dem besten Stoff, den er in seinem Laden feilhält. Es gibt Menschen, die ein Stück Land als ihr eigenes bezeichnen, ohne dass sie es jemals gesehen und betreten haben. Es gibt Menschen, die andere Menschen als ihnen gehörig bezeichnen, obwohl sie diese nie gesehen haben und mit ihnen nur so weit in Verbindung stehen, als sie ihnen Böses antun. Manche Männer nennen irgendwelche weiblichen Geschöpfe ihre Frauen, während diese Frauen mit andern Männern leben. Die Menschen streben im Leben nicht danach, das zu tun, was sie selbst als gut bezeichnen,

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