Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
sondern sind nur darauf bedacht, möglichst viele Dinge
ihr eigen
zu nennen. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass hierin der grundlegende Unterschied zwischen uns und den Menschen besteht. Von unseren sonstigen Vorzügen gegenüber den Menschen ganz abgesehen, können wir allein deshalb dreist behaupten, dass wir auf einer höheren Entwicklungsstufe der Lebewesen stehen als die Menschen. Das Wirken der Menschen – zum mindesten derjenigen, mit denen ich zu tun gehabt habe – besteht in Worten, das unsrige hingegen in Taten. Und eben auf solche Weise hatte der Stallmeister das Recht erhalten, mich
sein
Pferd zu nennen und den Stallknecht zu züchtigen. Diese Entdeckung hat einen tiefen Eindruck auf mich gemacht und zusammen mit den Gedanken und Erwägungen, die meine Scheckigkeit bei den Menschen hervorrief, sowie den Grübeleien, denen ich mich wegen der Untreue meiner Mutter hingab, schließlich dazu geführt, dass ich ein so ernster und versonnener Wallach wurde, wie ich es jetzt bin.
Ich war dreifach unglücklich: wegen meiner Scheckigkeit, weil ich ein Wallach war und weil sich die Menschen einbildeten, dass ich nicht, wie es für alles Lebende zutrifft, Gott und mir selbst gehörte, sondern Eigentum des Stallmeisters sei.
Dass sie sich diese Meinung von mir gebildet hatten, zeitigte vielerlei Folgen. Die erste bestand schon darin, dass ich in einer Einzelbox gehalten wurde, dass man mich besser fütterte, häufiger an der Leine laufen ließ und frühzeitiger vor einen Wagen spannte als die übrigen Pferde. Ich stand eben im dritten Lebensjahr, als ich zum ersten Mal angespannt wurde. Noch heute erinnere ich mich, wie der Stallmeister selbst, der sich ja einbildete, dass ich ihm gehörte, mit zahlreichen Stallknechten kam, um mich erstmalig anzuschirren, und wie alle dabei erwarteten, dass ich mich bockig anstellen und Widerstand leisten würde. Sie zerrissen mir die Lippe. Sie knebelten mich und umwanden mich mit Stricken, als sie mich zwischen die Deichselgabeln zwängten; sie brachten auf meinem Rücken ein breites Kreuz aus Riemen an und befestigten es an der Deichsel, damit ich nicht mit den Hinterbeinen ausschlagen könnte – und dabei wartete ich doch nur auf eine Gelegenheit, meine Lust und Liebe zur Arbeit zu beweisen.
Sie wunderten sich, dass ich wie ein altes Pferd lief. Ich wurde eingefahren und übte mich, im Trab zu laufen. Von Tag zu Tag machte ich größere Fortschritte, so dass nach Verlauf von drei Monaten der General selbst und viele andere meine Gangart lobten. Doch so seltsam es auch klingt: Einzig deshalb, weil sie sich einbildeten, dass ich nicht ihnen, sondern dem Stallmeister gehörte, bekam mein Lauf für sie eine ganz andere Bedeutung.
Die jungen Hengste, meine Brüder, wurden für Rennen eingefahren, ihre Schnelligkeit wurde gemessen, man kam zu ihnen heraus, sie zu betrachten, fuhr mit ihnen in goldverzierten Kutschen und legte ihnen kostbare Satteldecken auf. Ich wurde vor den gewöhnlichen Wagen des Stallmeisters gespannt, wenn er seiner Geschäfte wegen nach Tschesmenka und anderen Vorwerken fuhr. Alles dies kam daher, weil ich scheckig war, und vor allem, weil ich ihrer Meinung nach nicht ein gräfliches Pferd, sondern Eigentum des Stallmeisters war.
Morgen, so Gott will, werde ich euch erzählen, welches die wichtigste Folge war, die für mich daraus entstand, dass sich der Stallmeister ein Eigentumsrecht an mir anmaßte …«
Während dieses ganzen Tages hatten die Pferde Leinwandmesser voll Ehrerbietung behandelt. Nester jedoch ging mit ihm ebenso grob um wie sonst. Der kleine Grauschimmel des Bauern wieherte neuerdings, wenn er sich der Herde näherte, und die braune Stute kokettierte dann aufs Neue mit ihm.
7
Die dritte Nacht
Es war nach Neumond, und der Schein der schmalen Sichel fiel auf die Gestalt Leinwandmessers, der in der Mitte des Hofes stand. Um ihn herum drängten sich die andern Pferde.
»Die schwerwiegendste und unbegreiflichste Folge dessen, dass ich nicht dem Grafen, nicht Gott, sondern dem Stallmeister gehörte«, setzte der Schecke seine Erzählung fort, »bestand darin, dass gerade das, was bei uns sonst als größter Vorzug gilt – die Schnelligkeit des Laufs –, zur Ursache meiner Vertreibung wurde. Als Lebed gerade einmal im Rondell eingefahren wurde, kam der Stallmeister mit mir aus Tschesmenka zurück und hielt vor der Rennbahn an. Lebed lief an uns vorüber. Er lief an sich gut, machte aber Faxen; ihm fehlte es an jener
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