Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
Technik, die ich mir erarbeitet hatte und die darin besteht, dass man im selben Augenblick, wo der eine Fuß den Boden berührt, auch schon blitzschnell mit dem andern ausholen muss, so dass nicht die geringste Anstrengung verschwendet, sondern alle Kraft vollauf zur Vorwärtsbewegung ausgenutzt wird. Lebed kam wieder vorbeigelaufen. Ich drängte zum Rondell hin. Der Stallmeister ließ mich gewähren: ›Soll sich mein Schecke mal mit ihm messen?‹, rief er, und als Lebed uns ein weiteres Mal passierte, ließ er mich laufen. Da Lebed schon in vollem Lauf war, blieb ich in der ersten Runde zurück; doch in der zweiten holte ich auf, kam seinem Rennwagen immer näher, holte ihn ein und lief an ihm vorüber. Man ließ uns noch einmal laufen: dasselbe Ergebnis. Ich übertraf ihn an Schnelligkeit. Und dadurch gerieten alle in Entsetzen. Man beschloss, mich schnellstens möglichst weit weg zu verkaufen, damit von mir nichts mehr zu sehen und zu hören sei. ›Denn wenn der Graf etwas davon erfährt, ist der Teufel los!‹, sagten alle. So wurde ich an einen Pferdehändler als Zugpferd verkauft. Bei dem Pferdehändler blieb ich nicht lange. Ein Husar, der zum Pferdekauf gekommen war, erstand mich. Diese ganze Behandlung empfand ich als so ungerecht und grausam, dass ich froh war, als man mich aus Chrenowo fortführte und für immer von allem trennte, was mir vertraut und teuer war. Das Leben unter den andern Pferden bedrückte mich zu sehr. Ihnen standen Ruhm und der Genuss von Liebe und Freiheit bevor, mir dagegen Arbeit und Demütigungen, Demütigungen und Mühsal bis an das Ende meines Lebens! Und wofür? Dafür, dass ich scheckig war und in irgend jemandes Eigentum übergehen musste …«
An jenem Abend konnte Leinwandmesser seine Erzählung nicht weiter fortsetzen. Im Gestütshof trug sich etwas zu, wodurch sämtliche Pferde in Unruhe versetzt wurden. Kuptschicha, eine trächtige Stute, die anfangs ebenfalls zugehört hatte, wandte sich plötzlich ab und ging langsam auf das Schutzdach des Hofes zu, wo sie so laut zu ächzen begann, dass es die Aufmerksamkeit aller Pferde erregte. Dann legte sie sich hin, stand wieder auf und legte sich abermals nieder. Die alten Mutterstuten begriffen wohl, was mit ihr vorging, doch die jungen Tiere gerieten in Aufregung, verließen den Wallach und umringten die Kranke. Gegen Morgen hatte ein Fohlen das Licht der Welt erblickt und hielt sich schwankend auf seinen dünnen Beinen. Nester holte den Stallmeister, Kuptschicha und ihr Fohlen wurden in eine Box geführt und die übrigen Pferde ohne sie auf die Weide getrieben.
8
Die vierte Nacht
Abends, nachdem das Tor wieder geschlossen und alles still geworden war, setzte der Schecke seine Erzählung wie folgt fort.
»Wie ich so von einer Hand in die andere überging, hatte ich Gelegenheit, an den Menschen und Pferden eine Fülle von Beobachtungen anzustellen. Am längsten hielt ich mich an zwei Stellen auf: bei einem Fürsten – jenem Husarenoffizier, der mich vom Pferdehändler gekauft hatte – und dann bei einer alten Frau, die unweit der Kirche des heiligen Nikolaus wohnte.
Bei dem Husarenoffizier habe ich die schönste Zeit meines Lebens verbracht.
Obwohl er die Ursache meines Untergangs war und obwohl er nichts und niemand liebte, liebte und liebe ich ihn gerade deswegen. Gerade das gefiel mir an ihm, dass er schön, glücklich und reich war und deshalb niemand liebte. Ihr versteht ja die hohen Gefühle, die uns Pferden eigen sind. Seine Kälte, seine Grausamkeit und meine Abhängigkeit von ihm verliehen der Liebe, die ich für ihn empfand, besondere Kraft. Töte mich, hetze mich zu Tode, dachte ich manchmal in unserer guten Zeit – ich werde darüber nur umso glücklicher sein.
Er hatte mich von dem Pferdehändler gekauft, an den mich der Stallmeister für achthundert Rubel losgeschlagen hatte. Gekauft hatte er mich deshalb, weil sonst niemand scheckige Pferde besaß. Da begann meine glücklichste Zeit. Er hatte eine Geliebte. Das wusste ich deshalb, weil ich ihn tagtäglich zu ihr hinbrachte und mit ihr und manchmal auch mit beiden zusammen spazieren fahren musste. Seine Geliebte war schön, er selbst war schön, und der Kutscher, den er hatte, war gleichfalls schön. Deswegen liebte ich sie auch alle. Ich fühlte mich wohl bei ihnen. Mein Leben spielte sich folgendermaßen ab. Morgens erschien der Stallknecht, mich zu säubern – nicht der Kutscher selbst, nein, der Stallknecht. Der Stallknecht war ein
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