Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
vorgeschriebene äußere Form gewahrt wurde. Es handelte sich hierbei um eine neue Methode, und Iwan Iljitsch war einer der Ersten, der die im Jahre 1864 angeordnete Gerichtsreform praktisch durchführte.
Nachdem Iwan Iljitsch als Untersuchungsrichter an den neuen Ort übergesiedelt war, knüpfte er neue Bekanntschaften und Verbindungen an, schuf sich eine neue gesellschaftliche Stellung und änderte in mancher Hinsicht seine bisherigen Gepflogenheiten. Er wahrte zwischen sich und den Beamten der Gouvernementsverwaltung eine gewisse Distanz, wählte seinen Umgang nur innerhalb des Kreises der höheren Justizbeamten und der reichen Adligen aus, die in der Stadt ansässig waren, und trug eine leichte Unzufriedenheit mit der Regierung zur Schau, die er mit der Bekundung einer gemäßigten liberalen Gesinnung kultivierten Bürgertums verband. Außerdem hörte er in seiner neuen Stellung damit auf, sich das Kinn zu rasieren, und ließ seinen bisherigen Knebelbart unbeschadet seiner auch weiterhin stets eleganten Kleidung nach Belieben wachsen.
Auch an seinem neuen Wohnort gestaltete sich das Leben für Iwan Iljitsch allmählich sehr angenehm. Der gegen den Gouverneur frondierende Kreis, der aus Angehörigen der besten Gesellschaftsschicht bestand, hielt einmütig zusammen. Iwan Iljitsch bezog jetzt ein höheres Gehalt, und eine nicht geringe Bereicherung der Annehmlichkeiten des Lebens war für ihn das Whistspiel, an dem er neuerdings Gefallen gefunden hatte; dank seines guten Auffassungsvermögens und einer ungemein scharfen Kombinationsgabe wurde er bald ein perfekter Spieler und ging aus den meisten Partien als Gewinner hervor.
Nach zweijähriger Tätigkeit als Untersuchungsrichter lernte Iwan Iljitsch seine künftige Frau kennen. Praskowja Fjodorowna Michel war eine überaus liebreizende, elegante und kluge junge Dame, die den Kreisen angehörte, in denen Iwan Iljitsch verkehrte. Neben anderen Vergnügungen und Arten der Erholung nach der Arbeit als Untersuchungsrichter knüpfte Iwan Iljitsch nun auch noch einen kleinen Flirt mit Praskowja Fjodorowna an.
Früher, als er den Posten eines Beamten für besondere Angelegenheiten bekleidete, hatte Iwan Iljitsch gern und einfach um des Vergnügens willen getanzt, während er nun, als Untersuchungsrichter, nur noch ausnahmsweise tanzte. Wenn er jetzt tanzte, tat er es nur, um zu zeigen, dass er, obwohl er jetzt eine ganz andere Stellung innehatte und in die fünfte Rangstufe aufgerückt war, auch auf diesem Gebiet seinen Mann stehen konnte. So hatte er auf Bällen, meist gegen Ende des Abends, auch mit Praskowja Fjodorowna ein paarmal getanzt und vornehmlich während dieser Tänze ihr Herz erobert. Sie verliebte sich in ihn. Iwan Iljitsch trug sich keineswegs mit bestimmten Heiratsplänen, doch als er sah, dass sich das junge Mädchen in ihn verliebt hatte, beschäftigte er sich immer mehr mit dieser Frage. Ja, in der Tat, dachte er, warum sollte man nicht heiraten?
Praskowja Fjodorowna entstammte einem alten Adelsgeschlecht und war keine üble Erscheinung; sie besaß auch ein kleines Vermögen. Iwan Iljitsch hätte auf eine glänzendere Partie rechnen können, doch auch diese war recht gut. Er hatte sein Gehalt, und sie, so hoffte er, würde über Einkünfte in gleicher Höhe verfügen. Die Verwandtschaft war untadelig, und sie selbst war ein liebes, hübsches und durch und durch anständiges junges Mädchen. Zu sagen, Iwan Iljitsch habe sich zur Heirat entschlossen, weil er Praskowja Fjodorowna liebgewonnen und in ihr eine Übereinstimmung mit seiner eigenen Lebensauffassung gefunden hätte, wäre ebenso unzutreffend gewesen wie die Ansicht, er habe sich dazu entschlossen, weil diese Heirat in seinen Kreisen gutgeheißen wurde. Iwan Iljitsch ließ sich bei seinem Entschluss von beiden Erwägungen leiten: Er tat etwas Angenehmes für sich, indem er eine so reizende Frau nahm, und zugleich auch das, was in der obersten Gesellschaftsschicht für richtig gehalten wurde.
Und so heiratete Iwan Iljitsch.
Die Hochzeitsfeier sowie die erste Zeit des Ehelebens mit den bei Jungvermählten üblichen Zärtlichkeiten und der Freude an neuen Möbeln, neuem Geschirr und neuer Wäsche verliefen bis zu Praskowja Fjodorownas Schwangerschaft sehr schön, so dass Iwan Iljitsch schon glaubte, der Charakter seines leichten, angenehmen, fröhlichen und stets anständigen und von der Gesellschaft gebilligten Lebens, den er für einen Wesenszug des Lebens überhaupt hielt, werde durch die
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