Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
Oberstaatsanwalt befördert und in ein anderes Gouvernement versetzt. Iwan Iljitsch siedelte also mit seiner Familie um, viel Geld war nicht vorhanden, und seiner Frau missfiel der neue Wohnort. Er bezog jetzt zwar ein höheres Gehalt als bisher, doch dafür war hier der Lebensunterhalt kostspieliger. Außerdem starben zwei Kinder, wodurch das Familienleben für Iwan Iljitsch noch unleidlicher wurde.
Für alle Misshelligkeiten, die sich am neuen Wohnort ereigneten, schob Praskowja Fjodorowna ihrem Mann die Schuld zu. Bei allen Gesprächen zwischen Mann und Frau, und namentlich bei solchen, die mit der Erziehung der Kinder zusammenhingen, wurde die Erinnerung an frühere unliebsame Auseinandersetzungen geweckt, und jeden Augenblick drohte der Streit aufs Neue zu entbrennen. Unterbrochen wurde die ständig gespannte Stimmung nur, wenn bei den Eheleuten ab und zu wieder einmal die Verliebtheit aufflammte, doch das währte nie lange. Das waren sozusagen kleine Inseln, an denen sie zeitweilig landeten, aber bald fuhren sie wieder auf das Meer verborgener Feindschaft hinaus, die in einer zunehmenden gegenseitigen Entfremdung ihren Niederschlag fand. Eine solche Entfremdung hätte Iwan Iljitsch schmerzlich berührt, wenn er der Meinung gewesen wäre, sie sei unnötigerweise entstanden; doch inzwischen hatte er die Überzeugung gewonnen, dass dieser Zustand ganz normal und zwangsläufig eingetreten sei, und hatte sein weiteres Verhalten in der Familie bereits darauf eingestellt. Er verfolgte das Ziel, sich mehr und mehr von diesen Unannehmlichkeiten zu befreien und ihnen einen nicht kompromittierenden, nicht gegen den Anstand verstoßenden Charakter zu geben. Dies erreichte er dadurch, dass er immer weniger Zeit innerhalb der Familie zubrachte, und wenn es sich nicht vermeiden ließ, versuchte er, seine Position durch die Anwesenheit dritter Personen zu untermauern. Doch das Wichtigste für Iwan Iljitsch war sein Dienst; auf ihn konzentrierte er sein ganzes Lebensinteresse. Und dieses Interesse verschlang ihn. Das Bewusstsein seiner Macht, die Möglichkeit, jeden beliebigen Menschen nach seinem Gutdünken ins Verderben zu stürzen, die Wichtigkeit, mit der seine Stellung schon rein äußerlich umkleidet war – er wurde, wenn er den Gerichtssaal betrat, ehrfurchtsvoll von den untergeordneten Beamten begrüßt –, seine Erfolge bei Vorgesetzten und Untergebenen und vor allem die Meisterschaft, mit der er, wie er selbst fühlte, seines Amtes waltete – alles das bereitete ihm Freude und füllte neben dem gemütlichen Beisammensein, dem gemeinsamen Mittagessen und Kartenspiel mit Kollegen sein ganzes Leben aus. Im Großen und Ganzen spielte sich Iwan Iljitschs Leben demnach so ab, wie er es für nötig hielt: angenehm und anständig.
Auf diese Weise verlebte er auch die nächsten sieben Jahre. Seine älteste Tochter stand jetzt bereits im siebzehnten Lebensjahr; inzwischen war nochmals ein Kind gestorben, und als Stammhalter blieb ihm nur ein jüngerer Sohn, der das Gymnasium besuchte und dessentwegen Iwan Iljitsch schon oft Streit mit seiner Frau gehabt hatte. Er wollte den Sohn am Institut für Rechtswissenschaften ausbilden lassen, aber Praskowja Fjodorowna hatte ihn ihm zum Trotz aufs Gymnasium gegeben. Die Tochter wurde zu Hause unterrichtet und gedieh gut, auch der Junge war kein schlechter Schüler.
3
Unter solchen Lebensbedingungen waren seit Iwan Iljitschs Verheiratung mittlerweile siebzehn Jahre verflossen. Er war nun schon lange Zeit Oberstaatsanwalt und hatte die ihm angebotenen Versetzungen mehrmals ausgeschlagen, um auf eine ihm begehrenswerter erscheinende Stellung zu warten, als ein Umstand eintrat, der für ihn eine große Enttäuschung bedeutete und seine ganze Lebensruhe störte. Er hatte auf den Posten des Gerichtspräsidenten in einer Universitätsstadt gehofft, und nun war Hoppe, der sich auf irgendeine Weise vorgedrängt hatte, mit diesem Posten betraut worden. Iwan Iljitsch war entrüstet, machte Hoppe Vorwürfe und verzankte sich mit ihm und mit seinen unmittelbaren Vorgesetzten; die Folge war, dass man sich ihm gegenüber kühl verhielt und ihn auch bei der nächsten Beförderung überging.
Das alles spielte sich im Jahre 1880 ab. Es war überhaupt das schwerste Jahr in Iwan Iljitschs Leben. In diesem Jahr stellte sich erstens heraus, dass sein Gehalt nicht zur Bestreitung der Lebenskosten ausreichte, und zweitens, dass ihn alle vergessen hatten und in der empörenden, unerhörten
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