Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
gleiche Karriere gemacht wie der Vater, nur in einem anderen Ministerium, und näherte sich bereits jenem Dienstalter, bei dem die Gehaltszulagen unabhängig von den Leistungen automatisch weiterlaufen. Der dritte Sohn war ein Pechvogel. Nachdem er in verschiedenen Stellungen versagt hatte, stand er jetzt bei der Eisenbahnverwaltung in Diensten. Sowohl sein Vater als auch seine Brüder und namentlich deren Frauen vermieden es nach Möglichkeit, mit ihm zusammenzutreffen, und erinnerten sich seiner Existenz nur, wenn es sich als unumgänglich notwendig erwies. Die Tochter war mit einem Baron Graf verheiratet, einem ebensolchen Petersburger Beamten, wie es sein Schwiegervater war. Iwan Iljitsch galt als »le phenix de la famille«. Er war keine so kühle Natur, nicht so penibel wie sein älterer Bruder und nicht so verwegen wie der jüngere, sondern hielt zwischen beiden die Mitte – er war ein intelligenter, lebhafter, gut zu leidender Mensch von anständiger Gesinnung. Seine Erziehung hatte er zusammen mit dem jüngeren Bruder am Institut für Rechtswissenschaften genossen. Der Bruder war nicht vorwärtsgekommen und musste aus der fünften Klasse abgehen, während Iwan Iljitsch den ganzen Lehrgang absolvierte und die Abschlussprüfung gut bestand. Schon am Institut hatte er sich als der Mensch gezeigt, der er sein ganzes weiteres Leben hindurch geblieben war: ein begabter, gutmütig-fröhlicher und geselliger Mensch, der aufs peinlichste alles erfüllte, was er für seine Pflicht hielt; und als seine Pflicht betrachtete er alles, was höherstehende Persönlichkeiten dafür ansahen. Er war nie, weder als Knabe noch später als erwachsener Mann, ein Kriecher gewesen; doch ähnlich einer Fliege, die zum Licht drängt, hatte er sich schon seit seiner frühesten Jugend zu den höherstehenden Gesellschaftskreisen hingezogen gefühlt, sich deren Umgangsformen sowie Lebensauffassung zu eigen gemacht und danach getrachtet, mit ihnen freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen. Alle in der Kindheit und Jugend begangenen Torheiten waren vorübergegangen, ohne in ihm wesentliche Spuren zu hinterlassen; er hatte sich ab und zu von Sinnlichkeit hinreißen lassen, hatte seiner Eitelkeit gefrönt und zuletzt – in den obersten Klassen des Instituts – auch liberalen Neigungen gehuldigt, aber das alles nur in jenen gewissen Grenzen, die er instinktiv als richtig erkannte.
Zur Zeit seiner Ausbildung am Institut hatte er manches getan, was ihm damals verwerflich erschienen war und ihn mit Abscheu vor sich selbst erfüllt hatte; doch später, als er sah, dass das Gleiche auch von hochgestellten Persönlichkeiten getan und von ihnen nicht für verwerflich angesehen wurde, da hielt er solche Handlungen zwar nicht für ausgesprochen gut, aber er vergaß sie gänzlich und war nicht im Geringsten verdrossen, wenn er sich ihrer einmal erinnerte.
Als Iwan Iljitsch nach Absolvierung der zehnten Klasse seine Ausbildung am Institut abgeschlossen und vom Vater Geld für seine Equipierung erhalten hatte, bestellte er im Atelier von Scharmer einige Anzüge, befestigte an seiner Uhrkette ein Anhängsel mit der Inschrift »respice finem«, verabschiedete sich von dem Prinzen und dem Erzieher, dinierte mit seinen Kameraden bei Donon, und ausgestattet mit einem modernen neuen Koffer, allerfeinster Wäsche und Garderobe, elegantem Rasierzeug und den verschiedensten Toilettenutensilien, was alles in den ersten Geschäften der Stadt bestellt oder gekauft worden war, reiste er in die Provinz, um dort beim Gouverneur den ihm von seinem Vater verschafften Posten eines Beamten für besondere Angelegenheiten anzutreten.
In der Provinz gestaltete Iwan Iljitsch sein Leben gleich von Anfang an ebenso leicht und angenehm, wie er es am Institut für Rechtswissenschaften gehabt hatte. Er tat seinen Dienst, machte Karriere und fand immer Zeit, sich an netten und harmlosen Vergnügungen zu beteiligen. Wenn er hin und wieder von Amts wegen in die verschiedenen Verwaltungsbezirke reiste, benahm er sich sowohl Vorgesetzten wie Untergebenen gegenüber stets würdig und führte aufs genaueste und mit unantastbarer, ihn zu Recht mit Stolz erfüllender Redlichkeit alle ihm erteilten Aufträge aus, die übrigens vorwiegend mit der Raskolniki-Bewegung in Verbindung standen.
Bei der Ausübung dienstlicher Pflichten verhielt er sich ungeachtet seines jugendlichen Alters und seiner Neigung zu leichten Belustigungen äußerst zurückhaltend, offiziell, ja sogar streng; doch
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