Die schönsten Erzählungen (Die schönsten Erzählungen / Geschichten) (German Edition)
und erwähnte in seiner Erregung etwas von Scheidung. Doch der Abend selbst verlief äußerst vergnügt. Es waren lauter Leute der obersten Gesellschaftsschicht versammelt, und Iwan Iljitsch tanzte mit der Fürstin Trufonowa, deren Schwester durch die Gründung des Vereins »Nimm alles Leid von mir« allgemein bekannt war. Dienstliche Freuden waren für Iwan Iljitsch Freuden seiner Eigenliebe, und gesellschaftliche Freuden waren Freuden seines Ehrgeizes, doch eine wahre Freude bedeutete für ihn einzig das Whistspiel. Er gestand sich selbst, dass nach allem, was er Betrübliches erlebt hatte, die einzige wahre Freude, die wie eine brennende Kerze alles andere überstrahlte, für ihn darin bestand, sich mit guten, beherrschten Spielern zu einer Partie Whist zusammenzufinden – aber unbedingt zu viert, denn bei einem Spiel zu fünft war es immer ärgerlich, wenn man ausscheiden und sich dabei noch den Anschein geben musste, es sehr gern zu tun –, dann mit Ernst und Scharfsinn zu spielen – besonders wenn man gute Karten bekommen hatte – und hierauf zu Abend zu essen und ein Glas Wein zu trinken. Und nach dem Kartenspiel, namentlich wenn er einen kleinen Gewinn buchen konnte – einen großen einzustecken, wäre peinlich gewesen –, ging Iwan Iljitsch jedes Mal in besonders guter Stimmung zu Bett.
Auf diese Weise wickelte sich ihr Leben ab. Sie verkehrten in den besten Gesellschaftskreisen und wurden sowohl von hochgestellten Persönlichkeiten als auch von jungen Leuten besucht.
In der Beurteilung ihres Bekanntenkreises waren sich Mann, Frau und Tochter durchaus einig; wie auf Grund einer stillschweigenden Übereinkunft waren alle drei gleichermaßen bestrebt, sich jene Freunde und kompromittierenden Verwandten vom Halse zu halten, die sich ihnen mit Schmeicheleien aufdrängten und Zutritt zu ihrem mit japanischen Wandtellern geschmückten Salon zu erlangen suchten. Bald blieben diese unerwünschten Gäste aus, und der Verkehr der Golowins setzte sich nur noch aus Angehörigen der besten Gesellschaft zusammen. Die jungen Leute machten Lisa den Hof, und da der Untersuchungsrichter Petristschew, der Sohn Dmitri Iwanowitsch Petristschews und alleinige Erbe seiner Besitztümer, sich ernstlich für Lisa zu interessieren schien, erwogen Iwan Iljitsch und seine Frau schon, für sie eine Troikafahrt oder eine Liebhaberaufführung zu arrangieren. So nahm ihr Leben einen steten, glatten Verlauf, und alles war wunderschön.
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Alle waren gesund. Iwan Iljitsch erklärte zwar hin und wieder, einen seltsamen Geschmack im Munde zu haben und ein gewisses Unbehagen an der linken Magenseite zu verspüren, aber von einer Krankheit konnte man deswegen nicht sprechen.
Allein das Unbehagen verstärkte sich und ging allmählich, wenn auch nicht ausgesprochen in Schmerz, so doch in ein ständiges Druckgefühl an der einen Seite über, durch das Iwan Iljitsch in eine gereizte Stimmung versetzt wurde. Seine Reizbarkeit verschärfte sich zusehends und begann schon die leichte, angenehme und anständige Lebensweise zu beeinträchtigen, die sich in der Familie Golowin herausgebildet hatte. Die Eheleute gerieten immer häufiger in Streit, das leichte, angenehme Leben war dahin, und sie mussten sich sehr zusammennehmen, um auch nur den äußeren Anstand zu wahren. Heftige Auseinandersetzungen waren abermals an der Tagesordnung, und übrig blieben nur jene kleinen Inseln – und auch davon nur wenige –, auf die sich die Eheleute zurückziehen konnten, ohne dass ein Streit zwischen ihnen ausbrach.
Jetzt war Praskowja Fjodorowna nicht im Unrecht, wenn sie erklärte, ihr Mann habe einen unleidlichen Charakter. Mit dem ihr eigenen Hang zum Übertreiben behauptete sie, sein Charakter sei schon immer so schrecklich gewesen und es habe ihrer ganzen Gutmütigkeit bedurft, es zwanzig Jahre lang zu ertragen. Richtig war, dass die Streitigkeiten jetzt immer von ihm ausgingen. Er begann mit seinen Nörgeleien vorwiegend unmittelbar vor dem Mittagessen oder nachdem er gerade ein paar Löffel Suppe zu sich genommen hatte. Bald erregte er sich darüber, dass ein Stück des Geschirrs beschädigt war, bald fand er am Essen etwas auszusetzen, bald ärgerte er sich über den Sohn, weil er den Ellbogen auf den Tisch gestützt hatte, bald missfiel ihm die Frisur der Tochter. Und an allem schob er seiner Frau die Schuld zu. Anfangs widersprach ihm Praskowja Fjodorowna und sagte ihm ebenfalls unangenehme Dinge; doch nachdem er zweimal kurz nach Beginn des
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