Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
ab einem bestimmten Alter kennt nicht die Sorgen, die Olaf Herse plagten? Männer sind heute um ihren Leibesumfang
besorgt. Und gewiss stimmt es bis zu einem gewissen Grad auch, dass der männliche Körper gedrillt werden will, damit er Frauen
gefällt, dass er auf eine die Vernunft überschreitende Weise sexualisiert ist. Doch gibt es eine Ausnahme. Wer mächtig ist,
braucht seinen Bauch nicht einzuziehen, er kann ihn einer Frau regelrecht entgegenstrecken.
Wer sich erst auf den Weg gemacht hat, mächtig zu werden, so wie Olaf Herse, sollte darauf achten, schweigend abzunehmen.
Denn kaum etwas wird von Frauen mehr verachtet, als das eitle Reden der Männer über ihr Aussehen. Frauen begehren zwar Männer
und machen sie auch zu Sexualobjekten (durchaus und auch gern den schlanken Mann). Aber erst, wenn sie selbst von ihnen begehrt
worden sind. Wenn der männliche Blick ihren Körper auf schmeichelhafte Weise getroffen und damit ihr Selbstwertgefühl gesteigert
hat. Der Mann aber, der sich skeptisch befragt, bringt alles durcheinander. |187| Er zerstört das Spiel der Liebe, da er sich selbst zum Objekt macht.
Wann ist ein Mann ein Mann? Wenn er nicht über sein Gewicht spricht.
Wie wird ein Mann erfolgreich? Indem er schlank bleibt. Denn nur in schlanker Gestalt vermag er in der Regel seine Verstellungskunst
mit einer erotischen Ausstrahlung zu verbinden (bei Vorträgen und Präsentationen). Selten nur gibt es Männer, denen ein gewisses
Übergewicht zum Vorteil gereicht. Wie aber sieht ein Mann aus, sobald er einmal erfolgreich ist? Das ist dann weitestgehend
egal.
Olaf Herse begann, zunehmend von Selbstzweifeln geplagt, jeden Morgen, noch bevor er sich an seinen Schreibtisch setzte, zu
joggen. Er sprach aber mit niemandem darüber, was ausgesprochen lobenswert ist. Denn alles Beschwerliche hat man heimlich
zu tun, erst dann suggeriert man wahre Anmut, die jedem Verstellungskünstler gut ansteht.
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|188| 31 ÜBER BANDE SPIELEN
D er Makler Heinrich Walter fuhr zur denkbar ungünstigsten Zeit mit dem kleinen Dienstwagen hinaus nach Dettersheim. Nur ein
paar Meter floss der Verkehr, dann stoppte die Wagenkolonne erneut vor irgendeiner Ampel. Gedankenverloren sah er Kinder,
die sich zornig vor einer Bushaltestelle hin- und herschubsten, ein dicker Junge weinte; eine alte Frau, sie trug zwei Einkaufstüten,
führte laut Selbstgespräche und starrte in den wolkenverhangenen Himmel.
Langsam wurde es dunkel, Heinrich Walter schaltete die Scheinwerfer an. Ihm graute vor dem Termin. Er würde mit großer Wahrscheinlichkeit
ablaufen wie immer; alle zwei, drei Tage zeigte er irgendeinem jungen Pärchen eine Wohnung in dem frisch sanierten Gebäudekomplex.
Den Interessenten schien die gezeigte Wohnung zwar immer halbwegs zu gefallen, nur der Ort selbst, Dettersheim, war ihnen
dann doch eine Spur zu sehr ab vom Schuss gelegen. Und Dettersheim konnte diesem Makel auch sonst nichts entgegensetzen. Wenn
die Landschaft wenigstens irgendeinen Reiz hätte! Aber nein, zu ihrer Charakterisierung reichte ein Wort: flach. Kein See
in der Nähe, kein Hügel, kein Meer. |189| Der Dorfkern selbst war im Bombenkrieg, vermutlich nur versehentlich, getroffen worden, so dass die einzigen sehenswerten
Häuser zwar eben jene waren, von denen die Rede ist und die am Rande eines Ackers einen gar nicht so uninteressanten Komplex
bildeten (übrigens waren sie errichtet worden in den frühen dreißiger Jahren von einem frühverstorbenen Kollegen des berühmten
Architekten Hans Scharoun), doch für den zufällig Herbeigereisten, der kein Auge für derlei architekturgeschichtliche Besonderheiten
hatte, waren die Hauptattraktion der Gegend eher die träge vor sich hin weidenden Kühe der ortsansässigen Bauern. Die Bauern
betrachteten mit ihren misstrauischen, von der Eintönigkeit der Landschaft abgestumpften Gesichtern das eine oder andere Mal
kopfschüttelnd die nunmehr weißgetünchten Häuser, deren Wohnungen mit großen Schildern beworben wurden. »Wer soll denn bitteschön
hier hinziehen?«, mochten sie sich fragen.
Ja, wer? Das fragte sich Herr Walter mittlerweile auch. Auf der Landkarte sieht die Strecke nach Dettersheim überschaubar
aus, eine gelb eingezeichnete Landstraße hinter der Stadtgrenze und dann, schwupps, ist man eigentlich schon da. Leider nur
mit dem Zeigefinger. In Wahrheit braucht man, zumindest zu Stoßzeiten, beinahe eine Stunde, um überhaupt aus der
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