Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
notwendigerweise steckt. Einerseits hat er die schönste
Kontrolle über seine Gemütsregungen, er beobachtet sich selbst und andere mit kühlem Blick, andererseits bedarf es einer gewissen
Selbstüberschätzung, will er erfolgreich sein, und damit der eigenen Blendung. Denn der kühle Blick auf sich selbst führt
bisweilen zu einem Kreisen um die eigene Beschaffenheit, was wenig hilfreich ist. Jeder kennt Menschen, die sich immerzu selbst
geißeln: Da ist der Bauch zu dick, die Nase zu breit, da sind die Haare zu licht, die Füße zu groß. Diese Menschen rufen gern
Freunde an und sprechen dann über ihre körperlichen Makel, was den Freunden lästig ist. Während eines ersten Dates können
sich die derart Geißelnden kaum konzentrieren, da sie sorgenvoll ihren Bauch einziehen, ihre Füße unter dem Tisch verstecken.
Nur unter qualvollen Mühen vermögen sie, sich auf das Gespräch zu konzentrieren und hinterlassen oftmals einen unangenehm
bedrängten Eindruck.
Die unentwegt mit sich selbst Beschäftigten sind auch auf Empfängen, Geburtstagsfesten und Hochzeiten für andere Gäste, die
sie kennenzulernen beabsichtigen, ein Ärgernis. |178| Unhöflich ist doch sehr, wer auf einen wohlüberlegt schüchternen Gesprächsbeginn eines Fremden mit Wortkargheit reagiert.
So, wie es Angelika getan hat, als sie auf der Feier einer Freundin von einem jungen Autor angesprochen wurde und diesen,
aufgrund einer unheilvollen Verstrickung in eigene Gedanken, von sich wies.
Eigentlich war Angelika ganz froh, mal ohne ihren Freund Frank auf eine Party zu gehen, sie hatte ihm nach einem heftigen
Wortwechsel vorgeschlagen, doch einfach zu Hause zu bleiben. Es lief nicht mehr so gut zwischen den beiden. Sie waren ihrer
eigenen Perfektion überdrüssig geworden, ihre Wohnung lag in einer aufregenden Gegend und war, Angelikas Verdienst, geschmackvoll
eingerichtet, auch war man für den Augenblick finanziell abgesichert. Frank arbeitete festangestellt in einem Architekturbüro,
Angelika als freischaffende Fotografin.
Geld verdiente Angelika vor allem damit, für irgendwelche Konzernbroschüren stimmungsvolle Bilder von Managern in ihren Büros,
von Kantinen und gläsernen Hochhäusern zu machen. Gut, es war nicht gerade das, was sie sich erträumt hatte. Insgeheim hatte
sie sich eine glänzende Zukunft als begehrte Künstlerin mit Exponaten in Museen und erlesenen Galerien erhofft.
Nun, eine Ausstellung, die sie vor einem Jahr gemeinsam mit zwei anderen Fotografen auf eigene Kosten (genauer gesagt mit
großzügiger Unterstützung ihrer Eltern) organisiert hatte, verbuchte sie zwar keineswegs als Misserfolg (sie hatte schließlich
viele aufmunternde Worte gehört), doch hatte sie, |179| daran gab es nichts zu deuteln, nur zwei, wenngleich großformatige Fotos verkauft. Und zwar an ihre eigene Großmutter, ein
Umstand, der nicht frei war von Ironie, auch da diese seit längerer Zeit am grünen Star erkrankt war. Jedenfalls schmücken
bis zum heutigen Tag zwei Fotografien das heimische Wohnzimmer der betagten Dame, welche die Holzstruktur zweier Küstenmammutbäume
in Schwarzweiß zeigen, die Angelika während eines Studienaufenthaltes in Kaliforien aufwändig abfotografiert hatte.
Naturbilder waren ihr Spezialgebiet – Seen, in denen sich auf verzerrte Weise Wälder und Berge spiegelten und die von Besuchern
durchaus mit Interesse angeschaut wurden, hingen verstreut in ihrer Wohnung, und es hat sie empfindlich verletzt, dass Frank
während ihres heftigen Streits am frühen Abend behauptete, die Fotos würden ihn krank machen, er könne diese verdammten Bäume
und Seen nicht mehr sehen.
Es gibt Sätze, die entfalten erst nach einigen Stunden ihre eigentümliche Wirkung. Angelika sprach zwar auf der Party mit
einigen Freunden über irgendwelche Nichtigkeiten des Alltags und sie simulierte eine gewisse Fröhlichkeit, doch ihre Gedanken
hafteten an den Bildern. Hatte Frank nicht irgendwie recht? Hatte sie sich nicht all die Jahre etwas vorgemacht mit ihrer
Fotografie? War sie verdammt dazu, auf ewig Firmenbroschüren zu verzieren? Wenn sie wenigstens noch einmal einen Auftrag für
Modefotografien erhalten würde. Einmal nur, es war vor wenigen Monaten, hatte ein Modemagazin es mit ihr versucht. Männermode.
Sie hatte androgyne Typen in Klamotten gesteckt und abfotografiert, |180| mit freiem Oberkörper fläzten sie sich auf barocken Sesseln, blickten lasziv in die Kamera,
Weitere Kostenlose Bücher