Die Schopenhauer-Kur
er, ein Unheil zu beobachten, das uns nicht betrifft. Ist das nicht einer der machtvollsten Vorgänge, die sich in einer Therapiegruppe abspielen?«
»Interessant, Philip«, sagte Julius, »aber vollkommen irrelevant. Konzentrieren wir uns doch auf die Frage: › Warum jetzt?‹ «
Philip machte nach wie vor einen verwirrten Eindruck.
»Ich will Ihnen helfen«, spornte Julius ihn an. »Ich reite aus einem ganz bestimmten Grund darauf herum – einem, der die Unterschiede zwischen unseren beiden Ansätzen besonders deutlich illustrieren wird. Ich behaupte, dass die Antwort auf das › Warum jetzt?‹ eng verknüpft ist mit Ihren zwischenmenschlichen Beziehungen. Um es zu veranschaulichen: Können Sie Ihre Erfahrungen bei den letzten Sitzungen zusammenfassen?«
Schweigen. Philip wirkte verblüfft.
Tony sagte: »Scheint mir alles recht offensichtlich, Professor.«
Philip schaute Tony mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Offensichtlich?«
»Also, wenn Sie es vorbuchstabiert haben wollen, hier ist es: Sie steigen in diese Gruppe ein und geben eine Menge tiefgründig klingender Erklärungen ab. Sie holen Dinge aus Ihrer philosophischen Wundertüte, die uns alle beeindrucken. Einige Leute hier halten Sie für ziemlich klug – Rebecca und Bonnie zum Beispiel. Ich auch. Sie haben immer Antworten parat. Sie sind selbst Berater, und es sieht aus, als würden Sie ein bisschen mit Julius konkurrieren. Derselbe Film?«
Tony schaute Philip fragend an, der leicht nickte und damit andeutete, er möge fortfahren.
»Also, da kommt nun die gute alte Pam zurück, und was macht sie? Sie enttarnt Sie! Es stellt sich heraus, dass Sie eine finstere Vergangenheit haben. Richtig finster. Sie sind gar nicht Mister Saubermann. Sie haben Pam so richtig schön angeschissen. Damit hat sie Sie von Ihrem Podest gestoßen. Das muss Ihnen doch an die Nieren gehen. Was tun Sie also? Sie kommen heute hier rein und fragen Julius nach seinem geheimen Leben! Sie wollen ihn auch von seinem Podest stoßen, ihn auf Ihr Niveau bringen. Derselbe Film?«
Philip nickte leicht.
»So sehe ich das. Zum Teufel, was könnte es sonst sein?« Philip richtete seinen Blick auf Tony und entgegnete: »Ihre Beobachtungen sind nicht ohne Wert.« Dann wandte er sich an Julius: »Vielleicht muss ich mich bei Ihnen entschuldigen – Schopenhauer warnte immer davor, dass unser subjektives Erleben objektive Beobachtungen beeinträchtigen kann.«
»Und eine Entschuldigung bei Pam? Was ist mit Pam?«, fragte Bonnie.
»Ja, die ist wohl auch fällig.« Philip warf einen flüchtigen Blick in ihre Richtung. Pam schaute beiseite.
Als offenkundig wurde, dass Pam nicht beabsichtigte zu antworten,
sagte Julius:«Ich werde Pam nach eigenem Gutdünken sprechen lassen, Philip, aber was mich betrifft – da ist keine Entschuldigung nötig. Der Grund dafür, dass Sie hier sind, ist ja gerade der, dass Sie verstehen, was Sie sagen und warum Sie es sagen. Und was Tonys Einschätzung angeht – ich glaube, die trifft genau ins Schwarze.«
»Philip, ich möchte Sie etwas fragen«, sagte Bonnie. »Es ist eine Frage, die Julius mir schon oft gestellt hat. Wie ist es Ihnen nach den letzten Sitzungen gegangen?«
»Nicht gut. Ich war beunruhigt. Aufgewühlt sogar.«
»Das habe ich mir gedacht. Ich habe es Ihnen angesehen«, sagte Bonnie.«Irgendwelche Überlegungen zu Julius’ letztem Kommentar in der vergangenen Woche – dass Sie von Stuart und Rebecca ein Geschenk erhalten hätten?«
»Ich habe nicht darüber nachgedacht. Ich habe es versucht, aber ich war einfach nur angespannt. Manchmal befürchte ich, dass all die Zwietracht und das Getöse hier nur destruktiv sind und mich von den Betätigungen ablenken, die mir wirklich wichtig sind. Diese ganze Konzentration auf die Vergangenheit und unseren Wunsch nach Veränderung in der Zukunft dient nur dazu, uns die fundamentale Tatsache vergessen zu lassen, dass das Leben nur ein gegenwärtiger Moment ist, der in die Ewigkeit entschwindet. Was soll all der Aufruhr angesichts der Bestimmung, die letztlich alles hat?«
»Jetzt verstehe ich, was Tony damit meint, dass Sie sich nicht amüsieren können. Wie trostlos!«, sagte Bonnie.
»Ich nenne es realistisch.«
»Gut, kommen wir darauf zurück, dass das Leben nur ein gegenwärtiger Moment ist«, beharrte Bonnie. »Ich frage Sie ja genau nach dem gegenwärtigen Moment – nach Ihrer gegenwärtigen Reaktion darauf, ein Geschenk erhalten zu haben. Außerdem habe ich eine Frage zu
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