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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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nicht kompliziert. Ich möchte Ihren therapeutischen Ansatz verstehen und Teile davon, falls möglich, in meine Praxis als Berater integrieren, sofern sie ihr zuträglich sind. Ich arbeite ganz anders als Sie: Ich biete keine emotionale Beziehung an, sondern begreife mich als intellektuellen Führer. Ich biete meinen Klienten Hilfe dabei an, klarer zu denken und vernunftgemäß zu leben. Jetzt verstehe ich allmählich, vielleicht mit Verspätung, worauf Sie zielen – eine Ich-Du-Begegnung à la Buber . . .«
    »Buber? Wer?«, fragte Tony. »Tut mir Leid, wenn ich schon wieder wie ein Blödmann klinge, aber ich habe verdammt noch mal keine Lust, hier zu sitzen und nicht zu wissen, was Sache ist.«
    »Nur zu, Tony«, sagte Rebecca.«Jedes Mal, wenn Sie eine Frage stellen, stellen Sie sie auch für mich. Ich habe keine Ahnung, wer Buber ist.«
    Andere nickten zustimmend. Stuart sagte: »Den Namen habe ich schon mal gehört – irgendwas mit ›Ich-Du‹ – aber das war’s.«
    Pam sprang ein: »Buber war ein deutsch-jüdischer Philosoph, starb vor fünfzig Jahren, der in seinem Werk das wahre Wesen der Begegnung von zwei Menschen erforscht – die ›Ich-Du‹-, nämlich voll präsente liebevolle Beziehung – im Gegensatz zu der ›Ich-Es‹-Begegnung, die die ›Ich-Heit‹ des anderen vernachlässigt und eher benutzt, als eine Verbindung zu ihr herstellt. Das Thema hatten wir hier schon oft – was Philip mir vor Jahren angetan hat, war, mich als ein Es zu benutzen.«

    »Danke, Pam, hab’s kapiert«, sagte Tony und wandte sich dann Philip zu. »Sind wir im selben Film?«
    Philip schaute Tony fragend an.
    »Sie wissen nicht, was das bedeutet?«, meinte Tony. »Muss Ihnen mal ein Wörterbuch mit der Sprache des 20. Jahrhunderts besorgen. Schalten Sie nie Ihren Fernseher ein?«
    »Ich habe keinen Fernseher«, sagte Philip in gelassenem, nicht-defensivem Ton. »Aber falls Sie wissen wollten, Tony, ob ich mit Pams Antwort bezüglich Buber übereinstimme, ist die Antwort ja – ich hätte es nicht so gut ausdrücken können.«
    Julius war fasziniert. Philip nannte Tony und Pam beim Namen? Philip machte Pam ein Kompliment? Waren dies vorübergehende Erscheinungen oder kündeten sie einen ungeheuren Wandel an? Wie sehr er es liebte, am Leben zu sein, dachte Julius – mitten in dieser Gruppe.
    »Sie haben immer noch das Wort, Philip. Ich habe Sie unterbrochen«, sagte Tony.
    Philip fuhr fort: »Also wollte ich zu Julius sagen . . . wollte ich zu Ihnen sagen, meine ich«, er wandte sich Julius zu, »richtig?«
    »Richtig, Philip«, erwiderte Julius. »Ich glaube, Sie lernen schnell.«
    »Also«, sagte Philip in dem gemessenen Ton eines Mathematikers: »Erste These: Sie wünschen sich mit jedem Klienten eine Ich-Du-Begegnung. Zweite These: Ein ›Ich-Du‹ beruht auf vollkommener Gegenseitigkeit – die Beziehung kann per definitionem nicht einseitig intim sein. Drittens: Bei den letzten Treffen haben einige Teilnehmer viel über sich offenbart. Daher meine völlig gerechtfertigte Frage an Sie: Ist es nicht erforderlich, dass Sie dasselbe tun?«
    Nach einem Moment des Schweigens fügte Philip hinzu:
    »Das ist also die Preisfrage. Ich wollte nur beobachten, wie ein Berater Ihrer Couleur mit der Forderung eines Klienten nach Gleichheit umgeht.«
    »Ihr Motiv ist demnach in erster Linie, zu testen, ob ich in meinem Ansatz konsequent bin?«

    »Ja, nicht Sie persönlich zu testen, sondern Ihre Methode.«
    »Okay, ich akzeptiere Ihre Behauptung, dass die Frage im Dienste Ihrer intellektuellen Wissbegier steht. Jetzt nur noch eine weitere Frage, dann antworte ich Ihnen darauf. Warum jetzt? Warum stellen Sie diese spezielle Frage zu diesem speziellen Zeitpunkt ?«
    »Es war die erste Möglichkeit. Die erste kurze Unterbrechung des Trotts.«
    »Überzeugt mich nicht. Ich glaube, es steckt mehr dahinter. Noch einmal, warum jetzt ?«, wiederholte Julius.
    Philip schüttelte verwirrt den Kopf. »Das ist es vielleicht nicht, was Sie hören wollen, aber ich musste gerade an etwas denken, auf das Schopenhauer hinwies, nämlich, dass es wenig gibt, was Menschen in bessere Stimmung versetzt, als vom Missgeschick eines anderen zu hören. Schopenhauer zitiert ein Gedicht von Lukrez – 1. Jahrhundert v. Chr., römischer Dichter«, sagte Philip in einem Nebensatz zu Tony, »in dem jemand Spaß daran hat, an der Küste zu stehen und andere auf See mit einem schrecklichen Unwetter kämpfen zu sehen. Es ist eine Freude für uns, sagt

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