Die Schopenhauer-Kur
behielt er seine Konzentration? Wie konnte Julius sich immer noch für andere interessieren? Und Philip, dieses Arschloch, fordert ihn auf, sich zu offenbaren. Und Julius’ Geduld mit ihm und seine Versuche, Philip etwas zu lehren. Erkannte Julius nicht, dass er hohl war?
Sie gab sich einem Tagtraum hin, in dem sie Julius pflegte, wenn er schwächer würde; sie würde ihm seine Mahlzeiten bringen, ihn mit einem warmen Handtuch abwischen, ihn pudern, sein Bettzeug wechseln und nachts mit ihm unter die Decke kriechen und ihn im Arm halten. Die Gruppe hatte jetzt etwas Surreales – all diese kleinen Dramen, die vor dem düsteren Horizont von Julius’ Ende ausagiert wurden. Wie ungerecht, dass er derjenige sein musste, der starb. Wut wallte in ihr auf – doch gegen wen konnte sie sie richten?
Während Pam ihre Nachttischlampe ausschaltete und darauf wartete, dass ihre Schlaftablette zu wirken begann, nahm sie den einzigen Vorteil an dem neuen Tumult in ihrem Leben zur Kenntnis: Die Besessenheit von John, die während ihrer Vipassana-Übungen verschwunden und sofort nach der Abreise aus Indien zurückgekehrt war, hatte sich erneut verflüchtigt – vielleicht für immer.
»Keine Rose ohne Dornen.
– Aber manche Dornen ohne Rosen.« Ref 102
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Pessimismus als Lebensweise
Schopenhauers Hauptwerk, Die Welt als Wille und Vorstellung, das er in seinen Zwanzigern schrieb, wurde 1818 veröffentlicht, ein Ergänzungsband 1844. Es ist ein Werk von erstaunlicher Breite und Tiefe, das scharfsinnige Beobachtungen über Logik, Ethik, Epistemologie, Wahrnehmung, Wissenschaft, Mathematik, Schönheit, Kunst, Dichtung, Musik und das Verhältnis des Menschen zu anderen und zu sich selbst enthält. Die menschliche Existenz wird unter ihren trostlosesten Aspekten dargestellt: Tod, Einsamkeit, die Sinnlosigkeit des Lebens und das dem Dasein inhärente Leiden. Viele Gelehrte glauben, dass, abgesehen einzig von Platon, mehr wertvolle Gedanken in Schopenhauers Werk zu finden sind als in dem jedes anderen Philosophen.
Schopenhauer äußerte häufig den Wunsch und die Erwartung, dass man sich wegen seines Opus magnum immer an ihn erinnern werde. Spät in seinem Leben erschien sein zweites bedeutendes Werk, eine zweibändige Sammlung philosophischer Aufsätze und Aphorismen, deren Titel, Parerga und Paralipomena, aus dem Griechischen übersetzt »Nebenwerke und Nachträge« bedeutet.
Die Psychotherapie hatte zu Arthurs Lebzeiten noch nicht das Licht der Welt erblickt, aber trotzdem enthielten seine
Schriften vieles, was mit ihr verwandt ist. Sein Hauptwerk begann mit einer Kritik und Vertiefung Kants, der die Philosophie durch seine Einsicht revolutionierte, dass wir die Wirklichkeit konstituieren, statt sie wahrzunehmen. Kant erkannte, dass alle Daten, die wir über unsere Sinne empfangen, durch unser Nervensystem gefiltert und darin neu zusammengesetzt werden und uns damit ein Bild liefern, das wir Realität nennen, die aber in Wahrheit nur eine Schimäre ist, eine Fiktion, die von unserem in Begriffen und Kategorien denkenden Verstand herrührt. Tatsächlich sind sogar Ursache und Wirkung, Reihenfolge, Menge, Raum und Zeit Konzeptualisierungen, Konstrukte, keine Gebilde, die es »da draußen« in der Natur gibt.
Des Weiteren können wir nicht über die von uns erarbeitete Version dessen hinaussehen, was da ist; wir haben keine Möglichkeit zu erkennen, was »wirklich« da ist – das heißt, die Wesenheit, die vor der Reproduktion durch unsere Wahrnehmung und unseren Intellekt existiert. Jenes ursprüngliche Gebilde, das Kant als Ding an sich bezeichnete, wird uns auf ewig unbekannt bleiben.
Schopenhauer stimmte zwar zu, dass wir das »Ding an sich« nie erkennen können, glaubte jedoch, dass wir ihm näher kommen können, als Kant dachte.
Seiner Meinung nach hatte Kant eine wichtige Quelle von Informationen über die wahrgenommene (die phänomenale) Welt übersehen: unseren eigenen Körper! Körper sind materielle Objekte. Sie existieren in Zeit und Raum. Und wir alle besitzen ein außerordentlich reiches Wissen über unsere Körper – ein Wissen, das nicht auf unserem Wahrnehmungs- und Begriffssystem basiert, sondern direkt aus unserem Inneren stammt, von Gefühlen herrührt.
Von unseren Körpern stammt das Wissen, dass wir manchmal nicht konzeptualisieren und kommunizieren können, weil der größere Teil unseres Innenlebens uns unbekannt ist. Es ist verdrängt und darf nicht ins Bewusstsein einbrechen, weil es uns
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