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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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ohne Ablenkung ist, der schon bald tiefere, unangenehme existenzielle Wahrheiten sichtbar werden lässt – unsere Bedeutungslosigkeit, die Sinnlosigkeit unseres Seins, unser unerbittliches Fortschreiten in Richtung Verfall und Tod.
    Ist also das menschliche Leben nichts anderes als ein endloser Zyklus des Wollens, der Befriedigung, der Langeweile und dann wieder des Wollens? Gilt das für alle Lebensformen? Für Menschen ist es schlimmer, sagt Schopenhauer, denn je größer die Intelligenz, desto intensiver das Leiden.
    Kann also irgendjemand jemals glücklich sein? Arthur hält das für unmöglich.
    »Zuvörderst: keiner ist glücklich, sondern strebt sein Leben lang nach einem vermeintlichen Glücke, welches er selten erreicht und auch dann nur, um enttäuscht zu werden: in der Regel aber läuft zuletzt jeder schiffbrüchig und entmastet in den Hafen ein. Dann aber ist es auch einerlei, ob er glücklich oder unglücklich gewesen, in einem Leben, welches bloß aus dauerloser Gegenwart bestanden hat und jetzt zu Ende ist.« Ref 104
    Das Leben, ein unausweichlich tragischer Niedergang, ist nicht nur brutal, sondern auch ganz und gar launenhaft.

    »Wir gleichen den Lämmern, die auf der Wiese spielen, während der Metzger schon eines und das andere von ihnen mit den Augen auswählt: denn wir wissen nicht in unsern guten Tagen, welches Unheil eben jetzt das Schicksal uns bereitet – Krankheit, Verfolgung, Verarmung, Verstümmelung, Erblindung, Wahnsinn, Tod . . .« Ref 105
    Sind Arthur Schopenhauers pessimistische Schlussfolgerungen über die menschliche Existenz so unerträglich, dass sie ihn in Verzweiflung stürzten? Oder war es umgekehrt? War es sein eigenes Elend, aus dem er folgerte, das Leben sei eine erbärmliche Angelegenheit und am besten gar nicht erst entstanden? Da er sich dieser Frage bewusst war, rief Arthur uns (und sich selbst) oft ins Gedächtnis zurück, dass Gefühle die Macht haben, Wissen zu verdunkeln und zu verfälschen: dass uns die ganze Welt anlächelt, wenn wir Grund haben uns zu freuen, und uns düster und trostlos erscheint, wenn uns der Kummer drückt.

»Für die Menge habe ich nicht geschrieben . . . Ich übergebe also
[mein Werk] den einzelnen denkenden Wesen, welche als seltene
Ausnahmen im Laufe der Zeit erscheinen werden und denen zu
Muthe seyn wird, wie mir war, oder wie dem Schiffbrüchigen auf der
unbewohnten Insel ist, dem die Spur eines früher dagewesenen
Leidensgenossen viel mehr Trost giebt, als alle Kakaduen und Affen
auf den Bäumen . . .« Ref 106
29
    »Ich würde gern da fortfahren, wo wir aufgehört haben«, sagte Julius zur Eröffnung des nächsten Treffens. Hölzern sprechend, als habe er den Text auswendig gelernt, stieß er schnell weiter vor: »Wie die meisten Therapeuten, die ich kenne, bin ich guten Freunden gegenüber ziemlich offen, was meine Person angeht. Es ist nicht leicht für mich, mit einer Enthüllung aufzuwarten, die so ungeschminkt und unverfälscht und geradeaus ist wie die, die einige von Ihnen kürzlich präsentierten. Aber es gibt einen Vorfall, von dem ich nur einmal jemandem erzählt habe – einem engen Freund, und das vor Jahren.«
    Pam, die neben Julius saß, unterbrach ihn. Sie legte ihm ihre Hand auf den Arm und sagte: »Hallo, hallo, Julius. Das müssen Sie nicht tun. Sie sind von Philip dazu gedrängt worden, und nachdem Tony seine beschissenen Motive aufgedeckt hat, musste Philip sich sogar dafür entschuldigen. Ich jedenfalls möchte nicht, dass Sie sich dazu zwingen.«
    Andere stimmten zu und wiesen darauf hin, dass Julius der Gruppe ständig seine Gefühle mitteile und dass Philips Ich-Du-Vertrag ein Schwindel sei.

    Gill fügte hinzu: »Allmählich verwischt sich so einiges. Wir sind doch alle hier, damit uns geholfen wird. Mein Leben ist ein einziges Durcheinander – das haben Sie ja letzte Woche gesehen. Aber soweit ich weiß, Julius, haben Sie keine Probleme mit Nähe. Also, was soll’s dann?«
    »Vorige Woche«, sagte Rebecca in ihrer abgehackten, präzisen Sprechweise, »meinten Sie, ich hätte mich offenbart, um Philip ein Geschenk zu machen. Das stimmte teilweise – war aber nicht die ganze Wahrheit: Inzwischen ist mir klar, dass ich ihn auch vor Pams Wut schützen wollte. Es geht mir darum . . . worum geht es mir? Der Punkt ist, dass meine Beichte über die Sache in Las Vegas gute Therapie für mich war – ich bin erleichtert, dass es raus ist. Aber Sie sind hier, um mir zu helfen, und es hilft mir kein bisschen,

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