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Die Schopenhauer-Kur

Die Schopenhauer-Kur

Titel: Die Schopenhauer-Kur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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ablief – Flirten, Aufgabeln, Abendessen, Vollzug des Geschlechtsaktes –, und ihn fragte, ob er schockiert oder angeekelt sei, erwiderte er bloß, für ihn höre sich das nach einem außergewöhnlich langweiligen Abend an. Diese Antwort schockierte mich. Sie brachte mich zu der Erkenntnis, dass ich meine sich wiederholenden Verhaltensmuster willkürlich mit Erregung aufgeladen hatte.«
    »Und was blieb noch bei Ihnen hängen?«, fragte Tony.
    »Julius hat sich mal erkundigt, was für eine Inschrift ich für meinen Grabstein auswählen würde. Als mir nichts einfiel, hatte er einen Vorschlag: ›Er fickte gern.‹ Und dann fügte er hinzu, dieselbe Inschrift könne ich auch für meinen Hund verwenden.«
    Einige Gruppenmitglieder pfiffen oder lächelten. Bonnie sagte: »Das ist fies, Julius.«
    »Nein«, sagte Philip, »es war nicht fies gemeint – er wollte mich damit schockieren, mich aufrütteln. Und es blieb wirklich bei mir hängen, und ich glaube, es spielte eine Rolle bei dem Entschluss, mein Leben zu verändern. Aber ich schätze, ich wollte diese Vorfälle vergessen. Offensichtlich gebe ich nicht gern zu, dass er mir geholfen hat.«
    »Wissen Sie, warum?«, fragte Tony.
    »Ich habe darüber nachgedacht. Vielleicht sind es Konkurrenzgefühle. Wenn er gewinnt, verliere ich. Vielleicht will ich nicht eingestehen, dass sein Beratungsansatz, der so ganz anders ist als meiner, funktioniert. Vielleicht will ich ihm nicht zu nahe kommen. Vielleicht hat sie recht«, Philip nickte Pam zu, »Ich kann mich nicht auf Lebende einlassen.«
    »Wenigstens nicht leicht«, sagte Julius. »Aber es wird schon besser.«
     
    Und so fuhr die Gruppe in den nächsten Wochen fort: vollständige Anwesenheit, harte, produktive Arbeit – und abgesehen von wiederholten besorgten Fragen nach Julius’ Gesundheit
und der anhaltenden Spannung zwischen Pam und Philip waren die Mitglieder vertrauensvoll, optimistisch, sogar heiter gestimmt. Niemand war auf die Neuigkeit vorbereitet, die wie eine Bombe einschlagen sollte.

»Wenn ein Mensch so wie ich geboren ist, bleibt von Außen nur
dies Eine zu wünschen, daß er so viel als möglich seine ganze
Lebenszeit hindurch, und jeden Tag und jede Stunde er selbst sein
und seinem Geiste leben könne.« Ref 123
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Selbsttherapie
    Mehr als alles andere ist das autobiografische »Über mich« eine verblüffende Zusammenfassung von Strategien zur Selbsttherapie, die Schopenhauer halfen, sich seelisch über Wasser zu halten. Einige von ihnen, erdacht während Panikattacken in den späten Nachtstunden und bei Tagesanbruch rasch wieder verworfen, waren zwar flüchtig und ineffektiv, andere dagegen erwiesen sich als echter Rückhalt. Der machtvollste war sein unerschütterlicher lebenslanger Glaube an sein Genie.
    »Schon in früher Jugend habe ich an mir bemerkt, daß während ich alle Andern nach äußeren Gütern streben sah, ich mich nicht darauf zu richten habe, weil ich einen Schatz in mir trage, der unendlich mehr Werth hat als alle äußeren Güter und daß es nur darauf ankommt, diesen Schatz zu heben, wozu geistige Ausbildung und volle Muße, mithin Unabhängigkeit die ersten Bedingungen sind.... Der Natur und dem Rechte des Menschen entgegen habe ich meine Kräfte dem Dienste meiner Person und der Förderung meines Wohlseins entziehen müssen, um sie dem dem Dienste der Menschheit zu
schenken. Mein Intellect hat nicht mir, sondern der Welt angehört.«
    Die Last seines Genies, so meinte er, mache ihn noch ängstlicher und besorgter, als er es dank seiner genetischen Ausstattung bereits sei. Die Sensibilität von Genies lasse sie mehr Schmerz und Furcht erleiden. Genau genommen redete sich Schopenhauer ein, dass eine direkte Beziehung zwischen Angst und Intelligenz bestünde. Daher hätten Genies nicht nur die Pflicht, ihre Gaben für die Menschheit zu verwenden, sondern seien auch gezwungen, den vielen Befriedigungen (Familie, Freunde, Heim, Anhäufung von Reichtum), die anderen Menschen vergönnt seien, zu entsagen, da sie sich ausschließlich der Erfüllung ihrer Mission widmen müssten
    Immer wieder beruhigte er sich mit dem Rezitieren von Mantras, die auf der Tatsache seines Genies basierten. »Mein Leben ist ein heroisches, das nicht mit dem Philistermaaß oder der Krämerelle zu messen ist, noch überhaupt nach dem Maaßstab, welcher für das der gewöhnlichen Menschen gehört ..., ich darf mich also nicht dadurch betrüben, daß ich bedenke, wie mir abgeht, was zu einem

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